„Die Wahrheit wird angegriffen“ – „The Morning Show“ in Zeiten von Trump, Deepfakes und KI

In letzter Sekunde, wann sonst? Die Fusion mit der Konkurrenz NBN rettete das Medienhaus UBA vor der Übernahme und der Zerschlagung durch den Multimilliardär Paul Marks. Das Heldenteam von „The Morning Show“ aber flog am Ende der dritten Staffel auseinander: Bradley Jackson (Reese Witherspoon) verließ UBA gar in Richtung FBI, weil sie die Teilnahme ihres einfältigen Bruders an dem Putschversuch am Kapitol verheimlicht hatte. Dramatisches Ende, offenes Ende, starkes Ende. Aber eine vierte Staffel der spannenden Medienoper von Apple TV+ war da schon fest vereinbart. Also geht die Show weiter.
Gut so. Die vierte Staffel – unter Showrunnerin Charlotte Stoudt - beginnt zwei Jahre später, im Sommer 2024. Alex Levy (Jennifer Aniston) interviewt die iranische Degenfechterin Roya Naziri im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele von Paris. Der Vater der 17-Jährigen drückt ihr bei der Begrüßung einen Zettel in die Hand: „Wir wollen überlaufen“.
Die iranischen Sicherheitskräfte greifen ein, als Roya politisch antwortet – unter der Fechthaube „fühle ich mich frei“. Dass beiden im folgenden Durcheinander tatsächlich die Flucht in Levys SUV gelingt, ist ein Husarenstück. Das immer noch unterhaltsamste Mediendrama verlässt mal kurz das Genre und schaut bei 007 vorbei.
CEO Céline Dumont zu Alex Levy über die möglichen Folgen von deren spontaner Asylaktion
Um gleich wieder in der Wirklichkeit zu landen. Überlaufen wollte nämlich in erster Linie Royas Vater, der am iranischen Atomprogramm mitarbeitet. Damit hat UBN (die Fusion aus UBA und der früheren Konkurrenz NBN) seine politisch neutrale Haltung gebrochen, was den 8-Milliarden-Dollar-Deal mit Olympischen Komitee gefährdet. UBN-Präsidentin Céline Dumont (Marion Cotillard) stellt fest: „Verlieren wir Olympia, verlieren wir das Netzwerk.“ Journalistin Alex muss eine Weile unauffällig agieren, das FBI ist jetzt auch an ihr interessiert. Wer könnte die „Morning Show“ präsentieren?

Kein Mensch weiß, was die einstige Co-Moderatorin Bradley derzeit macht, aber ihre Zeit mit Alex war die quotenstärkste aller UBA-Zeiten. Die neue CEO Stella Bak (Greta Lee) sieht im US-Wahljahr 2024 eine Chance, mit einem „Red-State-freundlichen Gesicht“ in der „Morning Show“ Ausgewogenheit zu beweisen. „Wenn das halbe Land denkt, wir sind nur das Sprachrohr der Demokraten, dann funktioniert die Fusion nicht“, bescheidet Stella die abgeneigte Alex.
Kann ein bisschen mehr Sympathie seitens des unsäglichen Maga-Gagas schaden? UBN hat bislang nur einen „NBN Podcaster“ im Portfolio, „der die Welt davon überzeugen will, dass Bill Gates Ebola erfunden hat“.
So sagt es die zögernde Bradley verächtlich über das „Gemischtwarenangebot“ des neuen Konzerns zur Ex-Kollegin Mia Jordan (Karen Pittman). Bradley lehrt guten Journalismus am Clay County Community College in West Virginia, um junge Kräfte für die Werte und die Bedeutung der „vierten Gewalt“ zu gewinnen.
Natürlich sagt sie zu, bevor Episode 1 in die Zielkurve geht, denn sie will eine Ökokatastrophe ans Licht bringen, Gutes für die bessere Welt tun. Und das Duo Alex und Bradley, dessen erste Wiederbegegnung eher einem Brückenabbrennen ähnelt, scheint unabdingbar für den Erfolg dieser Serie, wie es Jon Snow und die Khaleesi für „Game of Thrones“ waren.
Weil Ex-CEO Cory Allison (der 2024 für diese Rolle Emmy-gekürte Billy Crudup) als Filmproduzent in Hollywood vom Glück verlassen wird, ist auch er bald wieder in New York. Und Paul Marks (Jon Hamm) ebenso.
Die Mitarbeiter bei UBN befürchten, durch den Einzug von Künstlicher Intelligenz ins Nachrichtengeschäft seien sie in ihrer Existenz bedroht. „Niemand wird durch KI ersetzt“, versucht Alex sie nach einer Präsentation von deren unendlichen Möglichkeiten zu beruhigen.
Staffel 4 handelt auch vom rasanten Aufstieg der unabsehbaren Technologie im Journalismus wie auch vom Horror von Deepfake. Ein gefälschtes Video mit den Iranern taucht auf – es könnte die Karriere von Alex zerstören. Niemand im Haus der Wahrheit glaubt ihr. 2025 – misstraue deinen Augen, deinen Ohren.
Ja, die Serie ist soapiger geworden, setzt auch auf mehr Starpower – Jeremy Irons spielt Alex‘ Vater. Dennoch kleben ihre Macher eng an der Branche. Über die ein närrischer US-Präsident nur ein paarmal „Fake News“ ausrufen musste, um die dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Medien in Misskredit zu bringen und gleichzeitig die Schurkenläden eines rechtsideologisch gefärbten Infotainments hochzujazzen.
„Die Wahrheit wird angegriffen“, warnt denn auch UBN-Nachrichtenchefin Mia ihre Vorgesetzten, die sie unter Druck setzen. Wahrheit ist zu einer Geisel von Klicks und Quote geworden, fragiler und wichtiger denn je, in Zeiten, in denen die Lüge immer mehr zum Stilmittel der Herrschenden wird. Ist sie zu retten, wenn eine Medienhaus-CEO wie Dumont sie mit dem Urteil „nicht sexy genug“ einem Styling preisgibt?
Brisant ist „The Morning Show“ denn auch angesichts politischer Drohungen und darauffolgender Selbstzensur bei US-Sendern durch Absetzung der Shows Trump-kritischer Köpfe Stephen Colbert und - gerade erst - Jimmy Kimmel. So fällt Demokratie.
„The Morning Show“, Staffel 4, zehn Episoden, Showrunnerin: Charlotte Stoudt, mit Jennifer Aniston, Reese Witherspoon, Greta Lee, Marion Cotillard, Billy Crudup, Jeremy Irons, Karen Pittman, William Jackson Harper, Nicole Beharie, Nestor Carbonell (streambar ab 17. September)
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