Weltraumforschung: Vera C. Rubin-Observatorium liefert erste Bilder aus dem All

Unzählige helle Sterne, bunte Wolken aus Staub und Gas, spiralförmige Galaxien: Die ersten Bilder aus den Tiefen des Weltraums, die das Vera C. Rubin-Observatorium am Montag veröffentlicht hat, bringen Astronominnen und Astronomen weltweit zum Staunen. Das eine Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt des Virgo-Galaxienhaufens, das andere den Trifidnebel, der mehrere tausend Lichtjahre von der Erde entfernt ist.

Die Aufnahme zeigt einen kleinen Ausschnitt des Virgo-Galaxienhaufens. Zu sehen sind unter anderem zwei auffällige Spiralgalaxien (unten rechts), drei verschmelzende Galaxien (oben rechts), mehrere Gruppen ferner Galaxien und zahlreiche Sterne in der Milchstraße.
Quelle: ---/NSF-DOE Vera C. Rubin Observ
Diese Bilder sind erst der Anfang einer neuen Ära der Weltraumforschung, die das Vera C. Rubin-Observatorium einleitet - ein Projekt der US-amerikanischen National Science Foundation und des US Department of Energy’s Office of Science. Hoch oben in den chilenischen Anden soll das Teleskop zehn Jahre lang den Himmel der südlichen Hemisphäre vermessen. Dabei kommt die größte jemals gebaute Digitalkamera zum Einsatz.
Der 2,8 Tonnen schwere Apparat, der eine Bildgröße von zehn Quadratgrad hat – das entspricht etwa der 50-fachen Fläche des Vollmonds –, ist das Herzstück des Observatoriums. Sie trägt den Namen „Legacy Survey of Space and Time“ (LSST), was auf Deutsch etwa „Vermächtnis-Durchmusterung von Raum und Zeit“ bedeutet. Ungefähr alle 40 Sekunden lichtet sie eine andere Region des südlichen Himmels ab.
„Mit beeindruckenden 3200 Megapixeln liefert jedes aufgenommene Bild so viele Details, dass man einen Golfball aus 25 Kilometern Entfernung erkennen könnte“, schrieb Noelia Noël, Astrophysikerin von der britischen University of Surrey, in einem Beitrag für „The Conversation“ dazu. Mithilfe der Beobachtungen soll am Ende eine hochauflösende Zeitrafferaufnahme des sich verändernden Nachthimmels entstehen.
Forschende erwarten einen Datensatz mit rund 40 Milliarden Himmelsobjekten – darunter Sterne der Milchstraße, Schwarze Löcher, ferne Galaxien und auch Objekte unseres Sonnensystems wie Asteroiden, die sich entwickeln und verändern. „Das ist Astronomie nicht als statische Momentaufnahme, sondern als kosmische Geschichte, die sich Nacht für Nacht entfaltet“, so Noël. Jede Nacht kommen etwa 20 Terabyte an Daten zusammen.
„Das Datenvolumen, das neue Teleskope aufzeichnen, ist beispiellos, auch dank eines Booms von Durchmusterungsteleskopen wie Vera Rubin“, sagte Esra Bulbul, Astronomin am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. „Das macht es für uns Forschende der Astronomie und der theoretischen Astrophysik besonders spannend, denn die Menge an Daten und ihre immer höhere Präzision und Qualität wird uns wohl erlauben, ganz neue Physik zu entdecken.“

Das in Chile gelegene Vera C. Rubin-Observatorium hat freie Sicht auf den Nachthimmel.
Quelle: H. Stockebrand/NSF-DOE Vera C. R
Allein fünf Millionen neue Asteroiden hoffen Astronominnen und Astronomen in der Region zwischen Mars und Jupiter, dem Asteroidengürtel, aufzuspüren. Derzeit sind dort 1,4 Millionen bekannt. Hinzu kommen mehrere Hunderttausend Asteroiden auf anderen Bahnen. Manche dieser Objekte können sich der Erde nähern und stellen deshalb potenziell eine Gefahr dar. Fachleute hoffen, die Zahl der bekannten erdnahen Asteroiden um das Zehnfache zu steigern und so immerhin 70 Prozent der gefährlichen Objekte mit Größen oberhalb von 140 Metern zu erfassen.
Und auch das äußere Sonnensystem jenseits der Neptunbahn soll mit dem Vera C. Rubin-Observatorium einer gründlichen Inventur unterzogen werden. Dort schwirrt eine große Zahl eisiger Objekte herum, darunter fünf Zwergplaneten wie Pluto, die sich seit der Entstehung des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren kaum verändert haben. Die Erforschung dieser fernen Eiswelten könnte den Astronominnen und Astronomen neue Erkenntnisse über die Frühzeit des Sonnensystems liefern.
Die ersten Ideen für ein großes Teleskop zur Himmelsdurchmusterung kursierten bereits Anfang der 1990er-Jahre. Damals stand im Zentrum des Vorhabens die Enträtselung der mysteriösen Dunklen Materie.
Die hält Galaxien und Galaxienhaufen zusammen: Die in Form von Sternen und Gaswolken sichtbare Materie reicht bei Weitem nicht aus, um mit ihrer Anziehungskraft die Fliehkräfte auszugleichen. Die beobachteten Bewegungen sind zu schnell, Galaxien und Galaxienhaufen würden ohne die zusätzliche Masse – eben die Dunkle Materie – in astronomisch kurzer Zeit auseinanderfliegen. Und obwohl es im Kosmos fünfmal so viel Dunkle Materie gibt wie normale Materie – also den Stoff, aus dem Sterne, Planeten und wir Menschen sind – weiß bislang niemand, woraus die Dunkle Materie besteht.
Indem das Vera C. Rubin-Observatorium die Form und Anordnung mehrerer Milliarden Galaxien erfasst, erhoffen sich Forscherinnen und Forscher, mehr über die physikalische Natur der Dunklen Materie herauszufinden. Genauso wie über die Dunkle Energie, die für die beschleunigte Ausdehnung des Universums verantwortlich sein könnte.
Die Gesamtkosten des Vera C. Rubin-Observatoriums betragen etwa 800 Millionen Dollar, für den Betrieb werden pro Jahr 20 bis 30 Millionen Dollar benötigt. Benannt ist das Observatorium nach der US-amerikanischen Astronomin Vera Rubin, die die ersten eindeutigen Hinweise auf Dunkle Materie lieferte – genau jenes Phänomen, das das Teleskop untersuchen soll.
Im Jahr 2011 begann der Bau der neuen Sternwarte auf dem 2700 Meter hohen Cerro Pachón. Dieser Höhenzug ist seit Langem für seine guten Sichtverhältnisse bekannt – in unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich mit Gemini South ein weiteres Großteleskop. Am 12. März dieses Jahres wurde die LSST-Kamera installiert und die finale Testphase des Observatoriums begann.
Der wissenschaftliche Betrieb startet nun am 23. Juni. Und wie immer, wenn Forscherinnen und Forscher mit neuen Instrumenten weiter ins All vorstoßen, ist mit Überraschungen zu rechnen. „Die Entdeckungen könnten zur Entstehung ganz neuer Bereiche der Astronomie führen“, sagte Adam Miller von der Northwestern University in den USA. „Sehr wahrscheinlich wird Rubin Dinge finden, von deren Existenz jetzt noch niemand etwas ahnt.“
RND/dpa/lb
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