Microdosing von Ozempic verspricht Abnehmen ohne Nebenwirkungen, klares Denken, weniger Schmerzen. Funktioniert das wirklich? Ein Faktencheck

Der neueste Trend bei Prominenten und Longevity-Anhängern ist der Konsum kleiner Mengen der vielgepriesenen Abnehmmittel. Wir haben Ärzte gefragt, für wen microdosing empfehlenswert ist und was es bewirkt.

Abnehmen mit Ozempic und Co. ohne lästige Nebenwirkungen – das verspricht ein Trend aus den USA: Das Schlagwort ist Microdosing. Hollywoodstars ebenso wie Tiktok-Influencerinnen schwören auf geringere Dosierungen als von den Herstellern empfohlen. Zudem soll Microdosing dieser Substanzen auch den Verstand schärfen, das Altern hinauszögern und von Autoimmunerkrankungen über Zyklusschmerzen bis hin zur Demenz alles Mögliche verbessern. Doch wie wundervoll ist die neue Wundertherapie?
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Die Gründe für Microdosing sind vielfältig. Manchen war die volle Dosis schlicht zu teuer. Andere litten unter starker Übelkeit, Erbrechen, ständigem Völlegefühl und beklagten einen Verlust an Muskelmasse. Oftmals wurde die Dosis reduziert, wenn das Wunschgewicht erreicht war. Eine dritte Gruppe wollte sanft wenig abnehmen, fünf Kilo vor den Strandferien oder dem Familienfest.
Eine wachsende Zahl von Personen ist zudem überzeugt, dass die Wirkstoffe der Abnehmspritzen jegliche Entzündung im Körper dämpfen. Die Anhängerinnen und Anhänger der Longevity-Bewegung sind schon einen Schritt weiter. Sie deklarieren die Abnehmspritzen gar zu Präventionsmitteln, die Leiden vor der Entstehung verhindern.
Es gibt keine Studien zu Microdosing, aber . . .Tatsache ist: Es gibt keine klinischen Studien zu Microdosing. Somit wurde bisher nie seriös gezeigt, dass die langfristige Einnahme geringer Mengen der Abnehmmittel etwas bewirkt. Experten weltweit sind uneins, ob Microdosing dauerhaft empfehlenswert ist.
Dessen ungeachtet ist es alltägliche Praxis: «Viele meiner Patientinnen und Patienten nehmen eine geringere, teilweise sogar eine deutlich geringere Dosis der Abnehmmittel als von den Herstellern empfohlen», sagt der Endokrinologe und Adipositas-Spezialist Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig. «Meist tun sie das, um Nebenwirkungen zu minimieren.»
Sein Kollege Jens Aberle, Leiter des Adipositas-Zentrums am Universitätsklinikum Hamburg, ergänzt: «Es ist doch ganz normal bei chronischen Erkrankungen, dass ich als Arzt die Dosis eines Medikaments im Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten individuell anpasse, wenn das Mittel über längere Zeit oder dauerhaft eingenommen werden muss.» Viele Mediziner seien daher grosse Befürworter einer individuellen Dosierung der Abnehmmittel.
Eine Unwirksamkeit fällt schnell auf. Ist die Dosis zu niedrig, merken die Patienten das. Das Gewicht sinkt nicht mehr, der Blutzucker steigt wieder. Also sollte wieder eine höhere Dosierung verwendet werden.
Weniger Wirkstoff contra seltener spritzenSchädliche Nebenwirkungen von dauerhaft niedrigen Dosen erwarten beide Ärzte nicht. Manche Experten sehen es allerdings kritisch, wenn jemand Microdosing nicht durch eine geringere Dosis pro Woche, sondern ein längeres Intervall zwischen den Spritzen praktiziert.
Denn die Substanzen in den Spritzen imitieren ein körpereigenes Hormon namens GLP-1. Das reguliert Verdauung und Stoffwechsel, indem es dem Gehirn signalisiert: «Hallo, genug Essen an Bord.» Das körpereigene Hormon greift dabei in zahlreiche Prozesse ein. Dasselbe tun die Abnehmmittel.
Die Wirkstoffe der Spritzen bleiben im Gegensatz zu den sehr kurzlebigen körpereigenen Hormonen ungefähr eine Woche im Körper. Deswegen wird eine wöchentliche Injektion empfohlen, um eine gleichbleibende Konzentration im Körper zu erreichen. Wenn sich hingegen durch längere Intervalle zwischen den Injektionen dauerhaft tagelange Phasen mit den Wirkstoffen und solche ohne sie abwechselten, dann könnte sich die Wirkung wie auch die Verträglichkeit erheblich verändern, sagt Blüher.
Es ist daher empfehlenswert, dass Patientinnen und Patienten zusammen mit ihren Ärzten jegliche Dosisänderung besprechen. Dann können auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, zum Beispiel Blutdrucksenkern oder der Antibabypille, abgeklärt werden.
Microdosing kann bei Übergewicht und Diabetes helfenDie gute Nachricht für Nutzerinnen und Nutzer ist somit: Medizinisch gesehen spricht nichts gegen Microdosing zur Behandlung von Übergewicht oder auch Diabetes. Hingegen kann kein Experte derzeit abschätzen, ob kleine Mengen der Abnehmmittel tatsächlich das Denken stimulieren, Schmerzen lindern oder gar das Leben verlängern. Denn diese beworbenen Effekte sind noch nicht einmal für reguläre Dosierungen bewiesen – im Gegensatz zu Gewichtsverlust und Blutzuckerregulation. Ebenso ist offen, was Abnehmmittel bei Normalgewichtigen auslösen.
Zwar gibt es Hinweise, dass die Mittel Entzündungen dämpfen. Aber es sei derzeit nicht klar, warum das geschehe, betont Aberle. Es sei gut möglich, dass vor allem die erzielte Gewichtsreduktion für den Rückgang von Entzündungen im Körper verantwortlich sei. Denn Fettgewebe produziert Botenstoffe, die Entzündungen stimulieren. Sind jedoch nach dem Gewichtsverlust viele Fettzellen leer, werden auch diese Botenstoffe nicht mehr hergestellt.
Internet-Apotheken befeuern den HypeUnklar ist, ob die Wirkstoffe der Abnehmspritzen möglicherweise auch unabhängig vom Gewichtsverlust Entzündungen minimieren. Das muss erst noch in klinischen Studien gezeigt werden. Gerade erst haben zwei grosse Studien ergeben, dass die Mittel in normaler Dosierung Alzheimer nicht verlangsamen und offenbar Entzündungen im Gehirn nicht ausreichend beeinflussen.
Ebenfalls völlig unbewiesen ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Medikamente einen präventiven Effekt haben, also Entzündungen oder andere Probleme in Organen verhindern können.
Man sollte bei all den Versprechungen auch bedenken, dass hinter dem Microdosing-Hype in den USA sehr handfeste wirtschaftliche Interessen von Herstellern sogenannter Compound-Produkte stehen. Das sind zum Beispiel Internet-Apotheken, die eigene Abnehmspritzen produzieren. Diese enthalten oftmals weniger Wirkstoff.
Die Herstellung eigener Medikamente ist unter gewissen Bedingungen in den USA erlaubt. Ob derzeit Anfertigen und Verkauf von selbst hergestellten Abnehmspritzen darunterfallen, ist umstritten. Das Problem aus Patientensicht ist jedoch ein anderes. Keines dieser Mittel wird auf Wirksamkeit und Schädlichkeit überprüft. Es ist noch nicht einmal sicher, dass in den Compound-Produkten wirklich genau dieselben Wirkstoffe wie in den offiziell zugelassenen Abnehmspritzen enthalten sind. Es gab bereits Fälle, in denen eine chemisch leicht abgewandelte Form der Wirkstoffe der offiziellen Abnehmspritzen verwendet wurde. Für deren Wirksamkeit gibt es keine Belege.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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