MediaMarktSaturn wird von JD.com übernommen: Wer ist das?

In Peking nennen sie es Gewerbegebiet – aber dort stehen keine Lager- oder Montagehallen, sondern eindrucksvolle Gebäude, wie anderswo in bester Down-Town-Businesscenter-Lage. Wir stehen im Daxing Distrikt, Peking, Yizhuang Wirtschafts- und Entwicklungszone, vor dem Hauptquartier von JD.com: ein komplex strukturiertes, mächtiges Gebäude mit gläserner Fassade. Alles strahlt vor allem eines aus: Energie. Hier, liebe Spitzenkräfte aus aller Welt, so die Botschaft, findet ihr ausgezeichnete Bedingungen in harmonisch gestalteter Atmosphäre.
Noch nichts gehört von JD.com? Das wird sich ändern, denn JD.com übernimmt einen der größten deutschen Technikhändler: MediaMarktSaturn. Das Kartellamt hat zugestimmt, der Weg ist frei für Chinas nach Umsatz größten Einzelhändler, vergleichbar mit Amazon und Konkurrent des hierzulande besser bekannten Unternehmens Alibaba.
Der bisherige Mehrheitseigner, die Düsseldorfer Ceconomy AG und die Chinesen sind sich einig, im ersten Halbjahr 2026 kann der deutsche Technikhändler in chinesische Hände übergehen. 57,1 Prozent der Anteile haben sich die Chinesen offenbar bereits gesichert.
JD.com: Technologie und DienstleistungJD.com bietet mehr als das Liefern und Verteilen, das Unternehmen agiert zugleich als führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen. 2024 betrug der Umsatz nahezu 159 Milliarden Dollar, was etwa einem Drittel der gesamten Ausgaben des Bundeshaushaltes 2024 entspricht. JD.com hat in China 580 Millionen aktive Kunden jährlich.
Vor dem Hauptquartier in Peking sitzt in einer großzügigen Grünanlage ein meterhohes, weißes, sehr niedliches und mit breitem Maul lachendes Hündchen – das Logo und Maskottchen des Handelsriesen, der Elektronik, Kleidung, Lebensmittel, Haushaltswaren und vieles mehr bietet. Man wird das putzige Tier bald näher kennenlernen.

Um die Dimensionen klarzumachen: MediaMarktSaturn erwirtschaftete 2022/23 rund 22,2 Milliarden Euro Nettoumsatz in 1000 Filialen und im noch kleinen Onlinesegment in mehreren europäischen Ländern. Bei dem deutschen Unternehmen arbeiten 55.000 Menschen, beim chinesischen mehr als 600.000. Acht Jahre lang bestand eine strategische Partnerschaft zwischen JD.com und dem US-Einzelhandelsriesen Walmart. 2024 beendeten die Amerikaner die Kooperation, sie verkauften ihre JD.com-Aktien für 3,6 Milliarden Dollar an der Börse.
Die Pekinger Zentrale betritt man durch den einschüchternd grandiosen Eingangsbereich, wo das Grün von draußen allmählich übergeht ins sachliche Innere. Auf dem Boden breiten sich akkurat linierte Flächen mit Grüninseln aus. Wir erleben im September 2023 eine Führung durch die Ausstellung, mit der sich das Unternehmen präsentiert.

Die junge Dame, Tour-Guide im perfekt sitzenden dunklen Kostüm mit Headset, Mikrofon und perfekter Beherrschung ihres Informationstextes, führt vorbei an einer eindrucksvollen Galerie von Lieferdrohnen. JD.com ist stolz, als erstes Unternehmen weltweit Drohnen in erheblicher Dimension einzusetzen. Man schickt sie, zum Beispiel mit Medikamenten beladen, in ländliche Gebiete, schnell, sicher und unabhängig von sonstiger Infrastruktur.
Man erreiche Bewohner entlegener Gemeinden, in Gegenden mit unwegsamem Gelände, Menschen, die noch unterversorgt seien von der E-Commerce-Branche, so die Firmeninformation. JD-Drohnen überwänden die schwierige sogenannte letzte Meile, die auch 100 Kilometer lang sein kann. Sie starten von regionalen Lieferstationen aus und fliegen von JD engagierte „Dorfförderer“ an. 300.000 solcher lokaler Empfänger habe man unter Vertrag; diese verteilten die Bestellungen dann direkt an die Kunden in der Nachbarschaft. So verkürze man Lieferzeiten und senke Kosten, erfährt man von JD.
Bereits seit Mai 2017 seien, so die JD-Website, rund 60 Drohnenrouten in abgelegenen Teilen von Peking, Jiangsu, Shaanxi und Sichuan in Betrieb, die es den Menschen erleichtern, am chinesischen Onlineshopping teilzunehmen.
Die Drohnen, an denen die Besucher der Ausstellung beeindruckt vorbeischreiten, hat das Unternehmen speziell entwickeln lassen: Da gibt es die JD-Drohne Y3, die mit drei seitlichen Doppelpropellern „stabil und auch im Gegenwind“ eine außen befestigte kommerzielle Fracht von maximal zehn Kilogramm befördert kann – über eine Distanz von 20 Kilometern Hin- und Rückflug. Sie steuert ihr Ziel autonom an, entlädt autonom und kehrt selbstständig zurück. 2023 war sie das hauptsächlich eingesetzte Modell.
Drohne V3 ähnelt zwar einem Flugzeug – starre Flügel, ein Propeller vorn – doch es handelt sich um einen von JD entwickelten Senkrechtstarter, der Lasten bis 20 Kilogramm über längere Strecken fliegen kann: Die Ausstellungstafel informiert: „V3 wird mit einem Flugradius von 100 Kilometern hauptsächliche für Lieferungen in entlegene Gebiete eingesetzt.“
Liefern oder erkunden: Drohnen für alle FälleEs gibt auch noch die VT1, die noch mehr Last im 200-Kilometer-Umkreis verteilen kann oder eine kleine Erkundungsdrohne, tragbar, per Handwurf startend und einsetzbar für Kontrollflüge entlang von Elektroleitungen oder zum Erfassen der Lage in Erdbebengebieten. Es braucht wenig Fantasie, um sich auch militärische Einsatzmöglichkeiten vorzustellen.
Eine besondere Abteilung gilt der Geschichte des noch jungen Unternehmens. Es wurde 1998 als JD Multimedia von Liu Qiangdong gegründet und ging 2004 online. Zunächst hatte sich der damals 25-Jährige auf magneto-optische Geräte spezialisiert, doch bald erweiterte er das Angebot um Elektronik, Mobiltelefone, Computer.

Seit 2023 lautet der Name der Domain JD.com – „J“ steht für den Vornamen seiner damaligen Freundin „Jing“, das „D“ für „Dong“, die Kurzform seines eigenen Vornamens. In einer Zeit, als Produktfälschungen deutlich stärker verbreitet waren als heute, konzentrierte sich Liu Qiangdong auf den Verkauf von Originalprodukten. Im Juli 2021 schätzte Forbes sein Vermögen auf 19,3 Milliarden US-Dollar. Bis 2022 war er Vorstandsvorsitzender von JD.com.
Liebevoll haben die Ausstellungsmacher Lius Büro, ein in einem Pekinger Markt gemietetes Ladengeschäft, nachgebaut: ein winziger Raum, in den neben dem kleinen Schreibtisch knapp die ausgerollte Bastmatte mit Kopfkissen, gefalteter Decke und altertümlichem Wecker passt, auf der der Jungunternehmer seine kurzen Nächte gleich am Arbeitsplatz verbrachte. Eine Vitrine zeigt den ersten Laptop, eine andere zwei mächtige Laufwerk-Kästen, einen Olympus-Fotoapparat, Lius Aktentasche, eine orangefarbene Arbeitsschutzweste, ein Nokia-Handy und einen roten Wimpel mit der goldgestickten Inschrift: Ausgezeichnet als herausragende Abteilung.

Der große Durchbruch kam mit einer Krise: Wegen des Sars-Ausbruchs in Peking 2003 musste Liu seine damals zwölf Ladengeschäfte vorübergehend schließen und verlagerte das Geschäft ins Internet.
Das heutige Hauptquartier ist im Vergleich zu jenen Anfängen ein anderer Kosmos, die Führung geht entlang futuristischer Installationen, Videowänden, auf denen Firmenstandorte in Schanghai, Chengdu, Kuschan und die Sortieranlage in Jinan ihre jeweils aktuelle Leistung melden. Man schreitet durch Flure, deren Marmorböden und -wände glänzen, als würden sie stündlich poliert. Schließlich bleibt die Tourführerin vor einem Modell stehen: Gebäude an Gebäude, dazwischen vielspurige Straßen, Brücken, Grünzüge – die Ausbaupläne, ein ganzes JD.com-Quartier in Peking, vor allem für die Logistik.

Auch international expandiert JD.com – aber anders als die hierzulande bekannten Onlinehändler Temu oder Shein. Während diese auf Direktbelieferung, Hersteller zu Kunde, setzen, betreibt JD.com eine hochtechnisierte, mit viel KI arbeitende Logistikinfrastruktur mit eigenen Lagern und Lieferdiensten, die schnelle und zuverlässige Lieferungen garantieren soll. Auch Einzelhandel in physisch besuchbaren Geschäften – wie bei MediaMarktSaturn gewohnt – gehört dazu.
Als im Mai 2025 in Peking der erste, 70.000 Quadratmeter große JD-Mall-Flaggschiffladen auf sieben Etagen eröffnete, wurde die sogenannte Omnichannel-Strategie deutlich: Ran an den Kunden auf allen Kanälen, auch „offline“. Das Online-Magazin Dao Insight beschreibt die JD-Mall als Einkaufs- und Erlebniswelt: Im Erdgeschoss Unterhaltungselektronik und Computer, ergänzt durch interaktive Services wie eine AR-Anprobe für Smartwatches und ein E-Sports-Erlebniszentrum, in der erste Etage werde Kaffeekultur mit Kosmetik- und Körperpflegeprodukten kombiniert. Es gibt Möbel, Angebote für Wohnungsrenovierung sowie eine Familienzone mit Buchhandlung und Kinderspielfläche. Im Untergeschoss liegen die Restaurants und Imbisse.

Werden die MediaMarktSaturn-Filialen nach diesem Konzept umgebaut? Gut möglich. Sandy Ran Xu, seit Mai 2023 Vorstandvorsitzende von JD.com, sagt, man werde den Umbau von MediaMarktSaturn vorantreiben. Auf dem europäischen Markt ist JD.com zum Beispiel seit 2022 mit der Omnichannel-Plattform Ochama in den Niederlanden aktiv, in Großbritannien läuft ein Pilotversuch für den Online-Marktplatz Joybuy. Der expandiert derzeit nach Deutschland.
Das Handelsblatt kommentierte irritiert: „Die Plattform bietet eine krude Mischung aus Lebensmitteln und Elektronik – und in einigen Städten Lieferung am selben Tag.“ Womöglich sind die Chinesen – wieder einmal – den europäischen Entwicklungen voraus.
Die Ceconomy-Zentrale in Düsseldorf sichert zu, dass nach der Übernahme die Marken Media-Markt und Saturn erhalten bleiben. Laut Vorstand Kai-Ulrich Deissner sind für drei Jahre betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, Tarifverträge und Mitbestimmung blieben erhalten.
Für chinesische Hightech-Hersteller wie Xiaomi eröffnet die Übernahme neue Vertriebskanäle – und zwar unabhängig von deutschen Strukturen. Sie verfügen über Produkte wie Smartphones, die mehr bieten als die Konkurrenz. Ein sicheres Signal für technologische Überlegenheit: Der Aktienkurs von Xiaomi ist in den letzten zwölf Monaten um etwa 200 Prozent gewachsen. Die Produkte könnten künftig zielgerichteter zu deutschen Verbrauchern kommen – nicht, weil die Produkte nicht mehr ihren Weg in die USA nehmen, sondern weil sich Europäer frei für das bessere Gerät entscheiden.
Berliner-zeitung