In Europa wird über die Zukunft des Verbrenners gestritten, in den Schwellenländern boomt das Elektroauto

Die Popularität von Elektroautos wächst in der EU, aber sie liegt weit unter den Erwartungen der europäischen Autobauer. In asiatischen Schwellenländern dagegen wollen immer mehr Menschen Elektroautos kaufen.

Bernd Feil / M.i.s. / Imago
Der Absatz von Elektroautos in Europa liegt in vielen Ländern noch immer weit unter den Erwartungen heimischer Autobauer. In einigen Schwellenländern dagegen sind Elektroautos zunehmend ein Verkaufsschlager.
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Neue Zahlen der britischen Denkfabrik Ember zeigen, dass mehr als ein Viertel der weltweit verkauften Neuwagen in diesem Jahr einen elektrischen Antrieb haben. Die Analyse bezieht sich dabei sowohl auf reine batterieelektrische als auch auf Plug-in-Hybrid-Modelle. In 39 Ländern liegt der Anteil neuer Elektroautos damit heute bei über 10 Prozent. 2019 waren es 4 Prozent – ein Anzeichen dafür, wie schnell sich die Marktrealitäten auf diesem Gebiet ändern. Denn es sind vor allem Schwellenländer, die zunehmend der Treiber dieses Wachstums sind – und nicht die wohlhabenden Industriestaaten.
Diese Woche hat derweil gezeigt, dass Europas Autoindustrie weiterhin am Verbrenner festhält – zumindest politisch. Alteingesessene Autohersteller, allen voran deutsche Unternehmen, hatten monatelang dafür gekämpft, dass die EU das Verbrenner-Aus kippt. Am Dienstag wurde es offiziell: Autobauer können gemäss den jüngsten Vorschlägen aus Brüssel nun auch nach 2035 Verbrenner verkaufen, wenn auch nur unter strikten Bedingungen. Fans des Verbrennermotors können aufatmen. Gleichzeitig halten Branchenvertreter weiterhin an der Annahme fest: Die Zukunft des Autos ist elektrisch.
Die jüngsten Daten von Ember unterstützen diese Annahme. In diesem Jahr zeichne sich ein Wendepunkt in der Entwicklung der Elektroautos ab, sagt Euan Graham, der die Datenanalyse verfasst hat: «Der Schwerpunkt des Wachstums hat sich verschoben.»
Dabei spielen wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Gründe eine Rolle: «Die Schwellenländer erkennen die strategischen Vorteile von Elektrofahrzeugen, von sauberer Luft bis hin zu geringeren Importen fossiler Brennstoffe», sagt Graham. Er fügt hinzu, dass an vielen Orten mehrheitlich batterieelektrische Autos verkauft werden, keine Plug-in-Hybride.
Südostasien ist ein WachstumstreiberEs sind vor allem Länder in Asien, und mehrheitlich in Südostasien, in denen Elektroautos immer populärer werden – mit teilweise rasantem Wachstum. Der Anteil neu verkaufter Elektroautos erreichte in China über 50 Prozent, in Singapur und Vietnam um die 40 Prozent. Das ist mehr als in der EU. In Vietnam wurden vor vier Jahren gemäss Ember so gut wie gar keine Elektroautos verkauft.
In Indonesien liegt der Anteil derweil bei 15 Prozent, das Land schlägt damit auch die USA. Indonesien ist zudem ein Schlüsselland für die Entwicklung der Elektromobilität weltweit. Denn das Land ist in den vergangenen Jahren zum weltgrössten Produzenten von Nickel aufgestiegen, einem zentralen Rohstoff für Elektroautos. In Thailand hat der Anteil neuer Elektroautos inzwischen über 20 Prozent erreicht, wie die Daten von Ember zeigen.
«Diese Veränderungen zeigen, wie schnell sich die Region von einer schwachen Ausgangslage zu einer Führungsposition entwickelt», so fasst Ember seine Analyse zusammen.
Doch auch in anderen Regionen steigt die Popularität der Elektroantriebe. In Lateinamerika haben diese Autos in Uruguay einen Anteil von 27 Prozent erreicht, Mexiko und Brasilien verzeichnen weiterhin stetiges Wachstum. Gleichzeitig entwickelt sich die Türkei mit einem Anteil von 17 Prozent zu einem ernstzunehmenden Wachstumsmarkt für Elektroautos. Gemessen am Volumen sei die Türkei nun zum viertgrössten Markt für batterieelektrische Autos in Europa aufgestiegen, sagt Graham im Gespräch.
Chinesische Autos sind der RennerEs gibt einen zentralen Grund, warum immer mehr Menschen in diesen Ländern Elektroautos kaufen: günstige Modelle aus China. In den vergangenen zwei Jahren machten Märkte in Schwellen- und Entwicklungsländern fast das gesamte Wachstum der chinesischen Elektroauto-Exporte aus, wie die Daten zeigen. Brasilien, Mexiko und Indonesien gehören zu den grössten Importeuren chinesischer Autos.
Aber zunehmend zeigt sich, dass diese Länder nicht nur Exportmärkte für China sein, sondern selbst von der Entwicklung der Technologie profitieren wollen – um neue Arbeitsplätze zu schaffen und heimisches Wirtschaftswachstum zu fördern. Indonesien habe zum Beispiel Einfuhrzölle für diejenigen Hersteller reduziert, die Produktionsstätten im Land eröffnen, sagt Graham. Das Land habe damit erhebliche Investitionen angezogen.
Diese Einschätzung bestätigte ein Regierungsbeamter laut Medienberichten am Freitag. Mehrere globale Autohersteller planten, ab 2026 mit der Produktion zu beginnen, um höhere Einfuhrzölle zu vermeiden. Wie zu erwarten, erwähnte der Beamte einige chinesische Unternehmen, aber auch Volkswagen und Citroën. In Vietnam werden derweil fast alle Elektrofahrzeuge vom lokalen Hersteller Vinfast verkauft. Eines seiner Modelle sei mittlerweile das meistverkaufte Auto des Landes überhaupt, sagt Graham.
Europas Autoindustrie kämpft um ihre RolleDiese Entwicklung wird auch in Zukunft anhalten und sollte den europäischen Autobauern zu denken geben. Denn sie müssen sich künftig in den Schwellenländern harter Konkurrenz stellen.
«Es gibt keine Anzeichen dafür, dass China die Elektrifizierung des Verkehrs verlangsamen würde, ganz im Gegenteil», sagt Laszlo Varro, der Vizepräsident für Strategie und Szenarios beim europäischen Erdölgiganten Shell und ehemaliger Chefökonom der Internationalen Energieagentur. Die grosse Herausforderung für die europäische Automobilindustrie sei nicht die chinesische Konkurrenz in Europa, sondern die chinesische Konkurrenz in den aufstrebenden Exportmärkten.
Varro ist nicht der einzige Experte, der davon ausgeht, dass die Elektrifizierung des Verkehrs aufgrund «der grundlegenden Vorteile» der Technologie weitergehen wird. Er sagt, die Transformation werde «die Automobilindustrie, die Stromnetze und die Ölmärkte verändern». Als Mitarbeiter eines Erdölunternehmens sind seine Worte aber vielleicht für einige überzeugender als die Einschätzung offensichtlicher Missionare der Energiewende.
Auch in Europa würden künftig mehrheitlich Elektroautos auf den Strassen fahren, sagt er: «Ich gehe davon aus, dass der Marktanteil von Elektroautos in Europa im Jahr 2035 nicht weit von 100 Prozent entfernt sein wird.» Noch müssten infrastrukturelle und geschäftliche Herausforderungen gemeistert werden, unter anderem um die benötigte Ladeinfrastruktur auszubauen.
Aber auch dort geht es voran. Die Zahl der öffentlichen Ladestationen stieg 2024 im Vergleich zu 2023 um mehr als 35 Prozent auf etwas über 1 Million, schreibt die Internationale Energieagentur. Das ist ein Fortschritt, aber Unterschiede bei der Ladeinfrastruktur zwischen den einzelnen EU-Ländern bleiben ein Problem.
Auch in Schwellenländern steigt die Zahl der Ladestellen. China dominiert in Asien und weltweit. Mittlerweile befinden sich etwa 65 Prozent der Ladestationen und 60 Prozent der Elektroautos weltweit im Land. Aber auch Länder wie Brasilien, Indien, Indonesien, Vietnam und Thailand unterstützen den Ausbau der benötigten Ladeinfrastruktur politisch und finanziell. Wie schnell sich Elektroautos durchsetzen, hängt davon ab, wie schnell die benötigte Infrastruktur ausgebaut wird.
Während sich in Europa Politiker und Autohersteller politische Kämpfe über die Zukunft des Verbrenners liefern, weisen die globalen Daten auf eine Entwicklung hin: Die Umstellung auf den Elektromotor geht weiter. Die Zahlen machen jedoch eines deutlich: «Die Schwellenländer werden die Zukunft des globalen Automobilmarktes prägen», sagt der Ember-Analyst Euan Graham.
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