ERKLÄRT - Ist Aromat ungesund? Wie der Geschmacksverstärker Glutamat seinen schlechten Ruf bekam und weshalb die Bedenken übertrieben sind


Illustration Simon Tanner / NZZ
Leserfrage: Ist der Geschmacksverstärker Glutamat ungesund? Und gibt es das Chinarestaurant-Syndrom wirklich, vor dem im Zusammenhang mit Glutamat gewarnt wird?
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Seit mehr als hundert Jahren nutzt die Lebensmittelindustrie den Geschmacksverstärker Glutamat als kostengünstige Möglichkeit, Speisen würziger zu gestalten. Glutamat, bekannt geworden unter anderem mit der Gewürzmischung Aromat, bedient unsere Geschmacksempfindung «umami». Sie wird oft als würzig oder fleischartig beschrieben.
In der Rubrik «Wohl & Sein antwortet» greifen wir Fragen aus der Leserschaft rund um Gesundheit und Ernährung auf. Schreiben Sie uns an [email protected].
Der Lebensmittelzusatzstoff Glutamat steckt in der Zutatenliste hinter den Nummern E 620 bis E 625. Allerdings ist er in Beutelsuppe, Fertigpizza und Chips immer seltener zu finden. Denn Geschmacksverstärker, Glutamat im Speziellen, sind in Verruf geraten.
In den 1960er Jahren traten Fallberichte über Menschen auf, die nach bestimmten Mahlzeiten über Kopfschmerzen, steifen Nacken, Herzklopfen und Schwindel berichteten. Es war vom «Chinarestaurant-Syndrom» die Rede: Als Ursache der Beschwerden wurde Glutamat vermutet, das etwa in Sojasaucen und anderen asiatischen Gewürzsaucen enthalten ist. Später wurde Glutamat verdächtigt, auch anderweitig schädlich zu sein – die Palette reichte von Übergewicht über neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer bis zu Krebs.
Mangelhafte StudienAber stimmt das auch? Für David Fäh, Ernährungswissenschafter an der Berner Fachhochschule, ist die wissenschaftliche Evidenz dafür nicht vorhanden. Die wenigen Fallstudien zum Chinarestaurant-Syndrom etwa seien wenig aussagekräftig. «Es wäre auch möglich, dass die betroffenen Personen eine Allergie gegen Krustentiere haben.» Auch in Studien waren die entsprechenden Symptome nicht reproduzierbar.
Gemäss einer Übersichtsstudie weisen frühere Untersuchungen zu gesundheitlichen Auswirkungen von Glutamat oft Mängel auf – etwa fehlende Kontrollgruppen, geringe Stichprobengrössen oder unrealistisch hohe Dosen an Glutamat.
Auch das unabhängige Wissenschaftsnetzwerk Cochrane kommt zu dem Schluss, es gebe keinen aussagekräftigen Hinweis, dass der Verzehr von Glutamat Beschwerden auslöse. In Mengen, wie sie für gewöhnlich in westlichen Ländern konsumiert werden – zwischen 0,3 und 1,0 Gramm täglich –, erscheine der Verzehr von Glutamat sicher. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) definiert pro Tag 30 Milligramm Glutamat pro Kilogramm Körpergewicht als ungefährlich – bei einer Person von 70 Kilogramm also 2,1 Gramm.
Diese Zahl bezieht sich auf das sogenannte «freie Glutamat». Das ist die Form von Glutamat, wie sie in den Lebensmittelzusatzstoffen hauptsächlich enthalten ist und für den Geschmack «umami» sorgt. Dabei ist zu beachten, dass es gewisse Lebensmittel gibt, die natürlicherweise einen relativ hohen Anteil von freiem Glutamat enthalten.
Dazu gehören Eier, Fisch, Tomaten, Kartoffeln und gewisse Käsesorten. Isst man viel davon, kann es durchaus sein, dass man die empfohlene tägliche Maximaldosis überschreitet. David Fäh hält es zwar für unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Menschen deswegen Beschwerden entwickle. Allerdings stimmt er dem Fazit von Cochrane zu, dass es nicht auszuschliessen sei, dass einzelne Personen empfindlich auf grosse Mengen an Glutamat reagierten.
Auch der Körper bildet GlutamatEinen weiteren Aspekt gilt es zu beachten: Glutamat ist ein natürlicher Bestandteil von Proteinen. Auch der menschliche Körper stellt den Stoff her – täglich etwa 50 Gramm. Glutamat ist unter anderem ein wichtiger Botenstoff für das Nervensystem. Im Gehirn kann ein Zuviel davon tatsächlich gefährlich werden, weil es dazu führt, dass Nervenzellen absterben. So soll Glutamat eine Rolle spielen bei psychischen Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie. Allerdings geht es dabei nicht um Glutamat aus der Nahrung, sondern um Störungen im Glutamat-Stoffwechsel im Gehirn. Glutamat aus Lebensmitteln gerät dank der Blut-Hirn-Schranke nicht in unser Gehirn – ausser allenfalls bei schwerwiegenden Erkrankungen.
Glutamat in der Nahrung ist in vernünftigem Mass also unproblematisch. Auch die Behauptung, es fördere den Appetit und damit eine Gewichtszunahme und gesundheitliche Probleme, liess sich nicht klar nachweisen.
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Trotzdem hat der Ruf von Glutamat gelitten. Dass die Lebensmittelindustrie es heute seltener einsetzt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Als Ersatz kommt etwa Hefeextrakt zum Einsatz, der natürlicherweise Glutamat enthält und für zusätzliche Würze sorgt. Für David Fäh gibt es gute Gründe, dabei zurückhaltend zu sein. Inhaltsstoffe wie Glutamat oder Hefeextrakt sind für ihn ein Hinweis auf wenig natürliche, eher minderwertige Lebensmittel. Zudem sei es problematisch, sich an stark gewürzte Lebensmittel zu gewöhnen – alles andere wirke mit der Zeit fad.
Wer den Eindruck hat, empfindlich auf Glutamat zu reagieren, kann den Konsum versuchsweise reduzieren. Klar ist: Wer ernährungsbedingt unter gravierenden Beschwerden leidet, sollte allfällige Allergien oder Unverträglichkeiten medizinisch abklären lassen.
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