Zollstreit: Was China jetzt verlangt: Loyalität

Es ist eine uralte chinesische Geschichte: Der Philosoph Konfuzius will den berüchtigten Räuber Zhi bekehren. Doch bevor er sprechen kann, zieht Zhi das Schwert und ruft: „Wer meinem Willen folgt, lebt. Wer mir zuwiderhandelt, stirbt.“ Über die Jahrhunderte wurde dieser Satz zu einer Blaupause chinesischer Machtpolitik: Wer sich China anschließt, steht auf der richtigen Seite der Geschichte. Wer sich aber abwendet, verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.
Heute, mitten im eskalierenden Handelskrieg mit den USA, stimmt China diese alte Melodie wieder neu an. „Beschwichtigung wird keinen Frieden bringen, und Kompromisse verdienen keinen Respekt“, heißt es beim chinesischen Handelsministerium. Das ist nichts anderes als eine Warnung: Staaten, die sich durch Deals mit Washington auf Kosten Chinas Vorteile sichern wollen, müssen mit Konsequenzen rechnen.
Nur wer China folgt, könne, ja dürfe, weiter von der chinesischen Wirtschaft profitieren, das ist die Linie, die Peking derzeit vorgibt. Außenminister Wang Yi rief Europa auf, gemeinsam mit China „offene Märkte zu verteidigen und neue Investitionsfelder zu erschließen“. Premier Li Qiang versprach den europäischen Unternehmen, China werde „ein fruchtbarer Boden für neue Erfolge“ bleiben, trotz Handelskrieg. Märkte, Investitionen und Wachstum von Chinas Gnaden. Dafür fordert das Land aber Loyalität. Sucht Peking in diesem Handelskrieg also nicht mehr länger nur Handelspartner – sondern Gefolgsleute?
Südamerika, allen voran Mexiko, steht schon mittendrin in dieser Loyalitätsprobe. Seit Jahren sind China und Mexiko wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Im November 2024 exportierte Mexiko Rohstoffe im Wert von 615 Millionen Dollar nach China, vor allem Kupfer- und Bleierz. Im Gegenzug importierte das Land Güter im Wert von insgesamt 9,6 Milliarden Dollar aus der Volksrepublik. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Einzelteile und Güter für die industrielle Fertigung von Autos und Elektrogeräten.
Diese Teile landen beispielsweise in Tijuana. Hier, nur fünf Kilometer vom Grenzübergang in die USA, betreibt der taiwanesisch-chinesische Konzern Foxconn ein gigantisches Werk. Aus dem Hafen Ensenada rollen Container mit Bauteilen aus China an. In der Fabrik, die sich über mehr als 30 Fußballfelder erstreckt, montieren mehr als 5000 Arbeiter Fernseher, medizinische Geräte, Leiterplatten – für den Export in die USA. Bei der Anfahrt sieht man einen Sportplatz für die Arbeiter und einen Campus, der an das Silicon Valley erinnert.
Im Oktober kündigte Foxconn an, die Präsenz in Mexiko massiv auszubauen, mit der weltweit größten Fabrik für die Produktion der neuen Nvidia-Großrechnerchips. Doch all das könnte nun auf der Kippe stehen. Denn Trump, der ordentlich Wahlkampf gemacht hat mit Sticheleien gegen den Nachbarn im Süden, könnte Mexiko mit der Androhung von Zöllen dazu bewegen, seinerseits die Zölle für China anzuheben und chinesische Unternehmen so Schritt für Schritt aus Mexiko zu vertreiben.
Die New York Times beschrieb bereits im März eine Möglichkeit dafür: ein Schlupfloch in den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Weil es kein Freihandelsabkommen zwischen China und Mexiko gibt, könnte Mexiko Zölle auf bestimmte Güter auf 36 Prozent anheben, vorausgesetzt, diese gelten für alle Länder. Doch wenn ein Produkt fast ausschließlich aus China kommt, wäre es faktisch ein Zoll gegen China. Mitte April sagte Trump bei Fox News zu diesem Vorschlag: „Vielleicht, ja, vielleicht sollten sie das tun.“ Wenn Washington also Druck macht, wenn Mexiko nachgibt, wenn Zölle kommen, dann steht hier nicht nur eine Fabrik zur Disposition, sondern ein ganzes Modell der Verflechtung mit Peking.
China hat bislang nicht offiziell auf Trumps Aufforderung reagiert, Mexiko solle sich durch Zölle von der Volksrepublik abkoppeln. Doch hat Peking schon in der Vergangenheit viel investiert, um sich Mexikos Loyalität zu sichern: Chinesische Staatsunternehmen haben U-Bahn-Linien gebaut, Verkehrssysteme modernisiert, Infrastrukturprojekte angestoßen. Beim G20-Gipfel im November 2024 bot Präsident Xi Jinping neue Abkommen an, versprach Marktöffnung, mehr Zusammenarbeit. Peking will Mexiko als loyalen Handelspartner halten, als Beweis, dass Chinas Einfluss selbst an der Grenze zu den USA wirkt. Doch ob diese Bemühungen reichen, Mexiko zu einem Kurs gegen seinen wichtigsten Handelspartner zu bewegen, bleibt fraglich.
Wie China mit Ländern umgeht, die der Volksrepublik aus Sicht Pekings die Loyalität entsagen, hat Polen vor wenigen Wochen zu spüren bekommen. Noch Anfang 2025 galt das Land als aufstrebender Partner für chinesische Investitionen. Stellantis, der multinationale Autokonzern, zu dem unter anderem Fiat, Opel, Peugeot, Chrysler, Jeep zählen, hatte erst wenige Monate zuvor begonnen, Elektroautos der chinesischen Marke Leapmotor in seinem Werk im polnischen Tychy zu montieren. Stellantis hält die Mehrheit an Leapmotor International, und vertreibt die Autos außerhalb Chinas.
Ende März stellte Stellantis, offenbar unter massivem politischem Druck aus China, die Produktion der Leapmotor-Elektroautos im polnischen Tichy ein. Offiziell nennt der Autokonzern keinen Grund für den Produktionsstopp, doch aus Unternehmenskreisen heißt es, die Anweisung dazu sei tatsächlich direkt aus China gekommen. Der Grund soll demnach sein: Polen hatte für die Einführung von Zusatzzöllen auf chinesische Elektroautos bei deren Import in die EU gestimmt. Und die Devise Chinas lautet: Länder, die bei solchen Entscheidungen gegen China stimmen, sollen nicht wirtschaftlich von China profitieren – zum Beispiel durch eine Autoproduktion.
Stellantis sucht jetzt nach Werken in Ländern, die der chinesischen Regierung wohlgesonnen sind. Hoch im Kurs steht dabei zum Beispiel Spanien. Im Gegensatz zu Polen hatten sich die Spanier bei der Zollabstimmung der EU enthalten. Auch sonst gilt Spanien als China-freundlich und besonders offen für chinesische Investitionen. So hat der Autokonzern Stellantis vor einigen Monaten angekündigt, gemeinsam mit dem chinesischen Unternehmen CATL ein neues Werk zur Fertigung von Elektrobatterien im spanischen Saragossa bauen zu wollen. Ziel solcher chinesischen Beteiligungen ist es, Produkte in Europa verkaufen zu können, ohne mit Strafzöllen beim Import aus China belegt zu werden.
Diesen Plan verfolgte China auch in Asien, allen voran Vietnam. Das Land galt lange als sicherer Hafen für chinesische Firmen, die Strafzölle beim Export in die USA umgehen wollten. Schon während Trumps erster Amtszeit verlagerten Hunderte Unternehmen aus China Teile ihrer Produktion dorthin, um trotz drohender Zölle weiterhin in die USA exportieren zu können. Angeblich nutzen chinesische Hersteller Vietnam auch dazu, ihre Produkte dort einfach umzuetikettieren. Aus „Made in China“ wird dort, illegaler Weise, „Made in Vietnam“.
Mit dieser Umgehungstaktik könnte nun aber Schluss sein. Denn nachdem Trump im Zuge seines „Liberation Day“ angekündigt hat, Vietnam mit Zöllen in Höhe von 46 Prozent zu belegen, wurde das Land in einen wirtschaftlichen Konflikt hineingezogen, der es zerreißen könnte. Das Land exportiert Waren im Wert von 120 Milliarden Dollar in die USA und importiert dafür gleichzeitig Rohstoffe und Vorprodukte im Wert von 144 Milliarden Dollar aus China.
„Wenn Vietnam den US-Markt verliert, braucht es auch weniger Importe aus China“, sagt Zhiwu Chen, Professor an der University of Hongkong und Experte für chinesische Wirtschaftsbeziehungen. „Das ist die Falle: Vietnam kann China nicht verlieren, aber die USA auch nicht verärgern.“ Die eine Abhängigkeit bringt die andere. Und verdeutlicht, in welcher Zwickmühle sich Vietnam befindet.
Wie wichtig Vietnam für China ist, zeigt die Reaktion Pekings auf Trumps weltweite Zölle: 12 Tage nach Trumps neuen Zöllen reiste Xi Jinping höchstpersönlich im April nach Hanoi, um sich der Loyalität Vietnams in diesem Handelskrieg zu versichern. Bei seinem Staatsbesuch unterzeichneten China und Vietnam 45 neue Kooperationsabkommen, von Bahnprojekten über besseren Marktzugang für vietnamesische Agrarprodukte bis hin zu gemeinsamer Forschung an Künstlicher Intelligenz. Xi versprach Investitionen, Handel, Zusammenarbeit und warnte zugleich vor „unilateralem Bullying“, eine klare Spitze gegen Washington. Der Besuch war mehr als ein Staatsakt, er war ein Signal: Erinnert euch, wer euch unterstützt und wer euch mit Zöllen gängelt.
Vietnam versucht derweil, die Gratwanderung zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt zu meistern. So versprach Vietnam den USA, gegen die falsche Etikettierung ausländischer Waren als „Made in Vietnam“ vorzugehen, erwähnte dabei aber speziell chinesische Firmen mit keinem Wort. Auch sonst übt man sich in Vietnam in stiller Diplomatie. „Vietnam wird niemals öffentlich Partei ergreifen“, so Zhiwu Chen. Es verhandele ganz wie das chinesische Vorbild nur hinter den Kulissen. „Ein typisch konfuzianischer Ansatz.“
China hat sich der Parole des Räuber Zhi in der Vergangenheit immer dann bedient, wenn es sich besonders stark fühlte, so auch in diesem Handelskrieg. In diesem Fall ist sie aber nicht nur Ausdruck von Selbstbewusstsein oder gar Selbstüberschätzung, sondern auch eine Antwort auf Donald Trumps Realpolitik, die selbst keine Alternativen zulässt: Entweder ihr seid für oder gegen uns. Doch die Geschichte von Räuber Zhi war nie als Anleitung gedacht, sondern als Negativ-Beispiel: ein Gleichnis, wie die Mächtigen und Starken gerade nicht herrschen sollten.
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