Die Meerenge von Hormuz ist Irans wirtschaftlich stärkste Waffe – doch ihre Blockade käme das Regime teuer zu stehen


Hamad I Mohammed / Reuters
Rund eine Woche nach Kriegsausbruch wird immer deutlicher: Aus militärischer Sicht kann Iran seinem Gegner Israel nichts Ebenbürtiges entgegensetzen. Das Mullah-Regime ist bis jetzt technologisch und organisatorisch klar unterlegen; dieses Ungleichgewicht wird durch den Kriegseintritt der USA nur noch verstärkt.
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Dennoch verfügt Iran über eine potenziell starke Waffe, die aber wirtschaftlicher Art ist. Das Land könnte die Meerenge von Hormuz – ein Nadelöhr für den globalen Erdölhandel – schliessen. Das hätte Auswirkungen weit über die Region hinaus.
Kurz nach den amerikanischen Bomberangriffen auf iranische Atomanlagen machten in sozialen Netzwerken Gerüchte über eine bevorstehende Blockade der Seestrasse von Hormuz die Runde. Gemäss Nicole Grajewski, einer Iran-Expertin des Carnegie Endowment for International Peace, liegt jedoch noch keine offizielle iranische Reaktion zu dieser Frage vor, und man sollte solchen Gerüchten mit Vorsicht begegnen.
No Iranian official has said this yet, it originated from pro-IRGC and Axis of Resistance telegram channels — be cautious when statements are attributed to unnamed officials https://t.co/aE5mKBfjte
— Nicole Grajewski (@NicoleGrajewski) June 22, 2025
Die Strasse von Hormuz liegt zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman. Sie ist an ihrer engsten Stelle nur 38 Kilometer breit und hat eine grosse strategische Bedeutung. Ein Fünftel der weltweiten Erdölproduktion passiert die Stelle. Sie wird nicht nur von iranischen Tankern genutzt, sondern unter anderem auch von Schiffen aus Saudiarabien, dem Irak, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Durch die Meerenge wird zudem über ein Fünftel des Angebots für verflüssigtes Erdgas transportiert, hauptsächlich aus Katar.
Was würde passieren, sollte das Schreckensszenario eintreten und die Strasse von Hormuz für den Schiffsverkehr lahmgelegt werden? Ökonomen der amerikanischen Citigroup schätzen in einer Studie, dass der Preis der Erdölsorte Brent von derzeit 77 Dollar pro Fass auf rund 90 Dollar hochschnellen würde; das käme einem Plus um 17 Prozent gleich. «Jede Schliessung der Meerenge könnte zu einem starken Preisanstieg führen», heisst es in der Analyse, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet.
Eine monatelange Sperrung der Meeresstrasse halten die Analysten von Citigroup jedoch für unwahrscheinlich. Sie gehen davon aus, dass sich im Falle einer Sperrung alle Bemühungen darauf konzentrieren würden, die Passage rasch wieder freizugeben. Nach Einschätzung der Bank hätte auch ein Ausfall iranischer Erdöllieferungen weniger weitreichende Auswirkungen auf die Ölpreise als bisweilen erwartet. Dies deshalb, weil die Exporte des Landes ohnehin schon rückläufig sind und chinesische Raffinerien weniger Öl aus Iran beziehen.
Verdoppelung der Charter-KostenEin allenfalls drohender Preisanstieg um 17 Prozent mag auf den ersten Blick hoch erscheinen – unter anderem, weil der Erdölpreis jüngst bereits auf den höchsten Wert seit fünf Monaten geklettert ist. Diesem Anstieg ging jedoch ein deutlicher Rückgang seit Mitte Januar voraus, so dass der Erdölpreis derzeit nur geringfügig über dem Wert von Anfang Jahr liegt. Eine Notierung über 90 Dollar wäre auch mit Blick auf die jüngere Vergangenheit nicht aussergewöhnlich: Im September 2023 lag der Preis bereits einmal dort, im Sommer 2022 sogar bei 120 Dollar.
Auch die Analysten der deutschen Commerzbank sehen keinen Grund für Alarmismus. Zwar halten sie die momentane Risikoprämie auf dem Erdölpreis für gerechtfertigt, weil im Fall einer Blockade das betroffene Erdöl kaum über andere Routen wie Pipelines transportiert werden könnte. Eine Schliessung der Strasse von Hormuz bezeichnet die Commerzbank aber als «sehr unwahrscheinlich». Dies mit der Begründung, dass sich Iran damit wirtschaftlich selber stark schaden würde. So könnte man selber ebenfalls kaum noch Öl exportieren.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der aus iranischer Sicht gegen eine Blockade der Meeresstrasse spricht. Mit einer Blockade würde man China als wichtigsten Abnehmer von iranischem Erdöl vor den Kopf stossen. China bezieht den grössten Teil seiner Erdölimporte aus dem Persischen Golf und wäre von einer Sperrung stark betroffen. Den Zorn Pekings kann sich Teheran derzeit aber schlecht leisten. So nutzt der asiatische Partner sein Veto im Uno-Sicherheitsrat nicht selten dafür, um Iran vor Sanktionen oder Resolutionen zu schützen. Diese Unterstützung dürfte Iran kaum leichtfertig aufs Spiel setzen.
Eine Blockade gab es noch nieAuch in der Meeresstrasse deutet wenig darauf hin, dass Iran seine Drohung wahr macht. Tracking-Daten, welche die Nachrichtenagentur Bloomberg zusammenstellt, zeigen, dass sich die Transporte von Erdöltankern in der ersten Kriegswoche mengenmässig ziemlich stabil entwickelt haben. Die Transporte sind jedoch teurer geworden. So hat sich der Preis für das Chartern eines Tankers von der Golfregion nach China seit Kriegsausbruch mehr als verdoppelt, und zwar von 20 000 auf knapp 48 000 Dollar, wie Daten von Clarkson Research zeigen.
Auch wenn Irans Führung bereits in früheren Konflikten wiederholt damit gedroht hat, die Seestrasse von Hormuz zu unterbrechen: Bisher ist es stets bei der Drohung geblieben. Zwar kam es wiederholt zu Störmanövern, zuletzt etwa im April vergangenen Jahres, als Iran ein Containerschiff mit Verbindungen zu Israel beschlagnahmte. Eine vollständige Sperrung fand aber nie statt, selbst nicht beim Iran-Irak-Krieg (1980–1988), als beide Seiten während des sogenannten Tankerkriegs über 400 Schiffe beschädigten oder versenkten.
Iran sah in der Vergangenheit stets zu hohe Hürden, um zu dieser Massnahme zu greifen. Das dürfte heute nicht anders sein. Für Irans Wirtschaft – und jene seiner Nachbarstaaten – ist die Strasse von Hormuz von zentraler Bedeutung. Eine Schliessung wäre zudem ein Verstoss gegen das Völkerrecht und würde die internationale Isolierung des Regimes zusätzlich verstärken. Wahrscheinlicher als eine Blockade ist daher eine Politik gezielter Nadelstiche, mit denen die eigene Macht angedeutet, aber nicht in letzter Konsequenz angewandt wird.
Dass sich die USA durch die Bombardierung der iranischen Atomanlagen nun ebenfalls am Krieg beteiligen, muss das Kalkül des Mullah-Regimes nicht zwingend verändern. Es sprechen noch immer dieselben Gründe gegen eine Blockade der Seestrasse von Hormuz.
Wie stark der Ölpreis auf die neue Lage reagieren wird, hängt jetzt allerdings auch davon ab, wie weit die Kriegsziele Amerikas reichen, weil dies wiederum die Reaktion Irans auf den Angriff beeinflussen dürfte. Die Ankündigung von Donald Trump vom späten Samstagabend – zusätzliche Ziele anzugreifen, falls Iran nicht nachgibt – hat die Gefahr einer weiteren Eskalation nicht gebannt.
nzz.ch