Börse: Der Dax trägt Baseballcap

Die deutschen Dax-Konzerne sind gefragt – nur nicht unbedingt bei den Deutschen. Siemens, BASF, Volkswagen: Die Papiere dieser Unternehmen gelten als wirtschaftlicher Puls des Landes. Steigen ihre Kurse, geht es dem Standort Deutschland gut; sinken sie, droht die Rezession. Doch ein Blick auf die Eigentümerstruktur zeigt: Ein Großteil dieser Unternehmen gehört längst nicht mehr deutschen Anlegern. Wer wissen will, wem die großen Konzerne wirklich gehören, muss nach New York, London oder Tokio schauen.
Eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zeigt: Nur noch etwa ein Drittel des Aktienbestandes der 40 deutschen Dax-Konzerne befindet sich in deutscher Hand. Seit 2010 ist der Anteil deutscher Investoren um weitere zwei Prozentpunkte gesunken. Zeitgleich haben insbesondere Anleger aus Nordamerika ihre Beteiligungen ausgebaut – ihr Anteil liegt inzwischen bei mehr als 25 Prozent.
Inzwischen sind bei mehr als der Hälfte der Dax-Konzerne die Aktienmehrheiten im Besitz ausländischer Investoren. Besonders hohe Auslandsanteile verzeichnen etwa der Diagnostikkonzern Qiagen (93 Prozent), der Chemiehändler Brenntag (88 Prozent) oder der Triebwerkshersteller MTU Aero Engines (83 Prozent). Ein erheblicher Teil dieser Beteiligungen stammt von US-amerikanischen Vermögensverwaltern wie Blackrock, Vanguard oder Wellington Trust, die wiederum Kapital für Millionen amerikanische Anleger verwalten.

Vor diesem Hintergrund bekommen die jüngsten wirtschaftspolitischen Entwicklungen in den USA eine besondere Note. Vom 7. August an treten pauschale Einfuhrzölle von 15 Prozent auf europäische Produkte in Kraft. Trump begründet die Maßnahme mit einem angeblichen Ungleichgewicht im internationalen Handel. Die Zölle sollen die US-Industrie schützen, richten sich aber auch gegen Produkte von Unternehmen, die zu Teilen US-Investoren gehören.
Die Hälfte der von Dax-Konzernen ausgeschütteten Dividenden fließt ins AuslandErstmals seit Jahrzehnten betroffen sind auch pharmazeutische und biotechnologische Erzeugnisse. Ein Beispiel ist Qiagen, einer der größten deutschen Biotechnologie-Konzerne. Das Unternehmen beliefert weltweit Labore mit Reagenzien und Diagnostiksystemen und erwirtschaftet nahezu die Hälfte seines Umsatzes in den USA. Zwar produziert Qiagen viele Produkte für den US-Markt direkt vor Ort und kann so Teile der Zölle umgehen. Dennoch bleibt das Risiko bestehen, dass Zölle auf EU-Produkte auch Qiagens Geschäft beeinträchtigen, etwa durch gestiegene Preise für Vorprodukte.
Auch MTU Aero Engines, unter anderem Zulieferer für Boeing, könnte betroffen sein. Der Münchner Triebwerkshersteller ist auf transatlantische Lieferketten angewiesen, liefert aus Deutschland Bauteile an seinen amerikanischen Partner Pratt & Whitney. Zölle auf Maschinenbauteile könnten sich direkt auf Umsatz und Marge auswirken.
Sollten durch die neuen Zölle die Gewinne exportstarker deutscher Unternehmen unter Druck geraten, hätte das möglicherweise auch Auswirkungen auf die Ausschüttung von Dividenden. Laut EY beliefen sich die Dividendenzahlungen der Dax-Konzerne im vergangenen Geschäftsjahr auf rund 54 Milliarden Euro. Knapp 27 Milliarden gingen an ausländische Investoren, ein großer Teil davon in die Vereinigten Staaten.
Siemens etwa überwies im vergangenen Jahr 2,8 Milliarden Euro ins Ausland, Mercedes-Benz 2,5 Milliarden, die Allianz sogar 3,5 Milliarden Euro. Solche Summen landen zu einem erheblichen Teil in US-amerikanischen Rentenfonds, ETF-Produkten oder in den Depots privater Anleger. Mit anderen Worten: Trump schadet mit den Einfuhrzöllen nicht nur europäischen Exporteuren und deutschen Anlegern – er trifft damit möglicherweise auch Millionen US-Kleinanleger.
süeddeutsche