Bauen statt bremsen: Experten machen Vorschläge für Zehntausende neuer Wohnungen in den Städten


In den Städten explodieren die Mieten – und linke Politiker greifen zu immer schärferen Mitteln. Der Mieterverband lanciert auf Bundesebene eine Mietpreis- und eine Wohnschutzinitiative, über die der Kanton Zürich nächstes Jahr abstimmt.
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Dagegen formiert sich Widerspruch. Eine Gruppe von Immobilienökonomen und Bauverantwortlichen warnt davor, dass die politischen Eingriffe den Wohnungsbau abwürgen könnten, statt ihn zu fördern. Seit der Umsetzung des Wohnschutzes in Basel gehen die Investitionen stark zurück. Die Gruppe unterbreitet daher einen Vorschlag, um die Finanzierbarkeit von Wohnbauprojekten in den Städten zu sichern. Ein paar Begriffe in der kommunalen Bauordnung müssten neu gedacht werden, um den Bau Tausender neuer Wohnungen zu ermöglichen.
Als Sprecher tritt Nico Müller auf, Partner beim Beratungsunternehmen Wüest Partner: «Es braucht klare Anreize und einen fairen Ausgleich zwischen Investoren und den Interessen der Öffentlichkeit.» Um diesen Ansatz zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Mechanik und die Herausforderungen der städtischen Verdichtung.
Was ist der Arealbonus? Ein Schlüssel zur Verdichtung!Schauen wir uns als Beispiel die Stadt Zürich an: Die Bau- und Zonenordnung (BZO) sieht für geeignete Lagen und für grössere, zusammenhängende Projekte eine bauliche Verdichtung vor. Konkret geht es um die sogenannte Arealüberbauung – ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung. Die Idee dahinter: Wenn schon dichter gebaut wird, dann bitte in guter Qualität – mit durchdachter Architektur, genügend Freiraum und überdurchschnittlicher Wohnqualität.
Heute gilt in Zürich allerdings eine hohe Hürde: Einen sogenannten Arealbonus – also das Recht, mehr Fläche zu bauen, als normal erlaubt wäre – bekommt man nur, wenn das Grundstück mindestens 6000 Quadratmeter gross ist. Solche grossen Flächen sind in der Stadt aber sehr selten geworden.
Bonus deutlich erhöhen und Anreiz schaffenDer Immobilienexperte Nico Müller schlägt deshalb eine deutliche Lockerung vor: Schon ab 3000 Quadratmetern soll man in Zukunft einen Ausnützungsbonus erhalten – und dieser soll nicht wie bisher bloss 10, sondern gleich 30 Prozent betragen. Das heisst: 30 Prozent mehr realisierbare Flächen als sonst wären rechtlich erlaubt.
Müller begründet den höheren Bonus folgendermassen: «Er müsste substanziell sein, damit ein echter Run auf die Realisierung der Ausnützungsreserven und damit auf die Innenverdichtung entsteht.»
Der Vorschlag umfasst ein zweites Element: Investoren wären verpflichtet, einen Anteil von 20 Prozent preisgünstiger Wohnungen vorzusehen, gemäss einer im Kanton Zürich anerkannten Definition von Kostenmiete. Massgebend dafür sind die Erstellungs- und Betriebskosten.
Für Müller ist entscheidend: Der Bonus mit höherer Ausnützung und der Anteil preisgünstiger Wohnungen müssen Hand in Hand gehen. Denn eine erhöhte Ausnützung steigert den Landwert und das Potenzial, während tiefere Ertragsaussichten mit vergünstigten Mieten dem entgegenwirken.
Erfahrung in anderen StädtenLaut Müller wäre der Ansatz ohne weiteres auf andere Städte übertragbar. Eine ähnliche Idee verfolgt Zug mit der Initiative «2000 Wohnungen für den Zuger Mittelstand», die 2023 in der Volksabstimmung knapp angenommen wurde. Auch hier sollen in definierten Verdichtungsgebieten der Stadt preisgünstige Wohnungen umgesetzt werden – zu einem Anteil von sogar 40 Prozent.
Doch der Teufel steckt im Detail. Jedenfalls stockt die Umsetzung der Zuger Initiative – unter anderem wegen rechtlicher Unsicherheiten und der Frage, ob die 40 Prozent auch für bereits laufende Projekte gelten sollen. Die zentrale Frage bleibt also: Wie holt man Investoren ins Boot – statt sie abzuschrecken?
Laut Müller kommt es darauf an, die Anreize richtig zu setzen. Sein Ansatz umfasst daher noch einen dritten Aspekt: Wer eine solche Arealüberbauung realisiert, soll im Gegenzug von der Mehrwertabgabe befreit werden. Diese werde eben stattdessen «in Form des preisgünstigen Wohnraums geleistet». Eine solche Abgabe ist heute in vielen Gemeinden geschuldet, wenn ein Grundstück im Zuge einer erhöhten Ausnützung oder Umzonung an Wert gewinnt.
Was der Bonus für Zürich bedeuten könnteEine Berechnung zeigt das Potenzial: In den im Richtplan definierten Verdichtungszonen der Stadt Zürich könnten allein durch den erweiterten Arealbonus – also 30 Prozent zusätzliche Ausnützung schon ab 3000 Quadratmetern – rund 15 000 zusätzliche Wohnungen entstehen. Davon wären etwa 4000 als preisgünstig definiert.
Wird der Anteil von 20 Prozent jeweils für das ganze Areal einberechnet, wären sogar bis zu 20 000 erschwingliche Wohnungen möglich.
Die Frage der UmsetzbarkeitAlternativen sind bekanntlich rar. Neue Einzonungen von Bauland am Stadtrand? Praktisch ausgeschlossen. Seit 2014 fokussiert das Raumplanungsgesetz auf Verdichtung statt auf Zersiedlung. Projekte auf unbebautem Land ausserhalb der Zentren nehmen in der ganzen Schweiz ab (sogenannte Greenfield-Projekte, siehe Grafik). Verdichtungsprojekte sollten dies auffangen – scheitern aber oft an rechtlichen und politischen Hürden.
Die politischen Hürden für den Expertenvorschlag wären hingegen überschaubar: «Es braucht gar keinen grossen politischen Wurf – ein einfacher Beschluss des Gemeinderats würde genügen, um den Arealbonus neu zu regeln», erklärt Müller. Es komme darauf an, möglichst rasch mehr Wohnungen bauen zu können.
Unterstützung aus der ForschungChristian Kraft, Professor für Immobilienökonomie an der Hochschule Luzern, unterstützt den Vorschlag. Denn die heute extrem hohen Grundstückspreise trieben selbst gemeinnützige Projekte an die Grenze. So seien die rein nach Kosten kalkulierten Mieten heute nicht weit von den Marktmieten entfernt. «Wenn dann politisch die Forderung kommt, es brauche günstige Mieten 30 Prozent unter dem Markt, dann ist das de facto ein Verlustgeschäft», sagt er.
Kraft findet es daher richtig, die Mehrwertabgabe umzudenken: «Es ist absolut plausibel, anstelle einer Mehrwertabgabe einen Anteil preisgünstiger Wohnungen vorzusehen.» Denn bei Aufzonungen sollten nicht nur Gemeinden profitieren – sondern auch jene, die später darin wohnen. Ein weiterer Vorteil dieses Modells: Wer einen bestimmten Anteil günstigen Wohnraums fix einplant, kann verlässlich kalkulieren. «So wird von Anfang an klar, welche Erträge auf welchem Flächenanteil möglich sind», so Kraft.
Realitätstest auf dem Zürcher MarktDoch wie realistisch ist das alles? Schauen wir dazu einen typischen Problemfall aus Zürich an: Ein Investor namens M., der anonym bleibt, zahlte 35 Millionen Franken für ein Grundstück mit rund 2000 Quadratmetern Fläche. Dank einer Revision der BZO ist hier eine hohe Dichte zulässig, sogar 40 Meter hohe Bauten sind möglich.
Doch kaum war der Landkauf besiegelt, wurden die Behörden vorstellig und verlangten einen Anteil von 30 Prozent preisgünstigen Wohnungen. Es sei immer höchst unangenehm, wenn dann mitten in der Projektphase die Spielregeln geändert würden, kritisiert M. Denn seine ursprüngliche Kalkulation, die er gestützt auf den hohen Landpreis aufgestellt hat, geht jetzt nicht mehr auf.
Klare Spielregeln für alle – wie im Vorschlag von Nico Müller – hätten das Problem gar nicht aufkommen lassen. Der Kaufpreis wäre zwar tiefer ausgefallen, aber der Verkäufer des Grundstücks hätte immer noch Millionen eingenommen – und der Investor wäre längst am Bauen.
Kritik vom MieterverbandWalter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband glaubt allerdings nicht, dass der Vorschlag ausreichen würde: «In den Städten geht permanent sehr viel günstiger Wohnraum verloren.» Es wäre bloss «ein Tropfen auf den heissen Stein».
So oder so müsste es gelebte Praxis sein, bei Verdichtungen Anreize und Gegenleistungen auszuhandeln. Angst verweist auf die Siedlung Frohburg der Helvetia in Zürich, wo die Bauherrschaft von sich aus einen Anteil preisgünstiger Wohnungen zusichert – ganz ohne Gegenleistung oder Verzicht auf einen Mehrwertausgleich.
Die Behörden der Stadt Zürich nehmen nicht detailliert Stellung. Markus Pfanner vom Hochbaudepartement hält dazu fest: «Solche Grundsatzfragen zum Mehrwertausgleich und zum preisgünstigen Wohnraum werden in der laufenden BZO-Revision behandelt.»
nzz.ch