Spielt eine Schweizer Fussballerin gut, verlässt sie die Schweiz. Das hilft dem Nationalteam, nicht aber der Liga


Würde man eine branchenfremde Person ins Stade de Genève einladen und ihr zeigen, was die Schweizer Auswahl loszutreten imstande ist, würde sie staunen. Das dritte EM-Gruppenspiel gegen Dänemark am Donnerstagabend ist zwar kein Augenschmaus, aber in der Schlussphase an emotionaler Intensität ausserordentlich dicht. Offiziell 26 388 Schaulustige in der Arena, der Schweizer Ausgleich zum 1:1 in der 92. Minute, EM-Viertelfinal, Halligalli in den roten Landesfarben.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Als der Gefühlsrausch vorbei ist, müsste man dem eingeladenen Gast mitteilen: Übrigens, dieses Team muss quersubventioniert werden. Das heisst: Der Schweizerische Fussballverband (SFV) verdient mit diesem Fest hier keinen Rappen. Er muss vielmehr etwas drauflegen. Es sei denn, die Fussballerinnen schaffen am Freitag im Viertelfinal gegen Spanien den Einzug in die Halbfinals, der zu den bis jetzt eingespielten 2,5 Millionen Euro Prämien der Uefa weitere 700 000 einbringen würde.
Erst in diesem unwahrscheinlichen Fall würde die EM-Rechnung für den SFV in den schwarzen Bereich rutschen. Bis jetzt hat der SFV mit dem Frauen-Nationalteam erst an der WM 2023 in Neuseeland etwas verdient – dank den Prämien des Weltverbands Fifa.
Wer gut spielt, verlässt die SchweizDas Exempel Heim-Euro zeigt, dass in euphorischen Frauenfussballtagen Realitätssinn gefragt ist. Auf die Schweizer Meisterinnen von YB bezogen, heisst das: Iman Beney (demnächst 19-jährig, neu Manchester City), Naomi Luyet (19, Hoffenheim) und Leana Zaugg (24, Bochum, 2. Bundesliga) verlassen alle Bern. Vizemeister GC verliert Noemi Ivelj (18, Frankfurt), Basel Aurélie Csillag (22, SC Freiburg).
Die jungen Fussballerinnen sind in ihren Klubs zu Identifikationsfiguren geworden. Oder zu «Vorbildern», wie die Nationaltrainerin Pia Sundhage sagt. Die hiesigen Fans tragen Trikots, auf denen nicht mehr nur Xhaka, Kobel oder Embolo steht, sondern auch Beney, Luyet, Ivelj und Wälti. Aber kaum ist ein Name auf die Rückseite des Trikots gedruckt, ist die Spielerin wegtransferiert, obschon noch nicht 20 Jahre alt.
YB hätte Beney nicht halten können, unter keinen Umständen. Gleiches gilt für GC und Ivelj. «Wenn eine junge Frau auf Fussball setzen will, können wir ihr das nicht bieten. Noch nicht», sagt Fränzi Schild, die Gesamtverantwortliche in der YB-Frauenabteilung. Das sei die Realität im Frauenfussball, da gebe es noch keinen Weg im Inland – «wir können nicht plötzlich alle zu Profispielerinnen machen, das ist unmöglich. Aber wir sind fest entschlossen, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern.»
Auch im Grasshopper-Club macht man sich Gedanken dazu. Doch die Ausgangslage sei glasklar, sagt Christian Künzli, der Geschäftsführer der GC-Frauen, «es geht immer um das Gesamtpaket und um das Projekt». Wenn eine mögliche GC-Identifikationsfigur den SC Freiburg oder Frankfurt besucht, ist sie schon auf dem Sprung. Die Infrastruktur ist besser, der Rasen, der Lohn und dessen mögliche Bestandteile wie Wohnung und Auto.
Der EM-Nutzen für die Frauenliga ist schwer zu eruierenAuf die Women’s Super League in der Schweiz heruntergebrochen, bedeutet dies, dass die Suche nach möglichen Vorbildern von vorne beginnt. Beney wäre für die Beachtung der YB-Frauen die idealtypische Spielerin. Zumal nach dieser EM. Doch das war einmal.
Für den Verband wie für die Vereine stellt sich die Frage, inwiefern aus der EM-Euphorie Nutzen gezogen werden kann, in Bezug auf das Publikum, die Infrastruktur, die Sponsoren, das Personal und die Löhne. Weg von der Quersubvention, hin zu mehr Eigenfinanzierung. Da müssen auf jeder Stufe immer noch Millionen bereitgestellt werden, welche oftmals die Männerabteilung erwirtschaftet – oder Private beisteuern wie bei GC.
Martial Trezzini / Keystone
In Bern und Zürich interessieren sich Sponsoren im Verlauf der letzten Monate vermehrt für Frauenfussball, doch kostendeckend ist das bei weitem nicht. Die EM wird nicht alles auf den Kopf stellen.
Für den Verband und die Klubs gilt demnach: Euphorie geniessen, Schwung versuchen mitzunehmen, möglichst nachhaltiger Ausbau. Das Legacy-Programm «Here to stay» des SFV zeitigt erste Erfolge. 260 Klubs im Breitenfussball sind dabei, bis jetzt wurden total 1200 Entwicklungsmassnahmen umgesetzt. Dazu gehört die Gründung neuer Mädchen- und Frauenteams sowie die Ausbildung und Einbindung von Funktionärinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen.
Bezeichnend ist der unlängst kommunizierte Mutterschutz bei YB. Wird eine Spielerin oder Trainerin während ihres letzten Vertragsjahres schwanger, verlängert sich der Kontrakt automatisch um ein Jahr. Zeichen der Zeit.
Die Männerauswahl bleibt die GeldmaschineDer SFV habe mit der nicht immer unumstrittenen Kandidatur für die EM-Endrunde «auf das richtige Pferd gesetzt», sagt der Generalsekretär Robert Breiter. Doch im Moment wird sich im Verband ökonomisch nicht viel verändern. Die Männerauswahl bleibt die Geldmaschine, die mehr oder weniger das ganze Haus finanziert. Vor allem dank Fifa- und Uefa-Preisgeldern und Vermarktungsrechten. Für die Männer-Euro 2024 gab’s von der Uefa über 18 Millionen Euro. Unter dem Dach des SFV logiert auch die Frauenliga.
Die Verträge mit den SFV-Hauptpartnern laufen bis 2028, wobei die Frauen inkludiert sind. Derzeit ist es auf jeder Stufe noch undenkbar, die Männer- und Frauenteams ökonomisch voneinander abzukoppeln. «Ich laufe jetzt nicht vor möglichen Sponsoren mit offener Kasse herum», sagt Marion Daube, im SFV zuständig für den Frauenfussball, am Freitag an einer Medienkonferenz.
Trotz warnenden Stimmen zum baldigen Einzug des Alltags bleibe das Glas halb voll, befindet Breiter, «darauf dürfen wir stolz sein». Das Ausmass der Zuneigung sei zuvor «nicht vorstellbar» gewesen, ergänzt Daube. Trotzdem muss nicht weiter erläutert werden, dass die Frauen-Equipe nach der EM an ihren Heimspielen nicht wieder von 30 000 Personen beklatscht werden wird – wie jüngst in Basel, Bern und Genf geschehen.
Das Nationalstadion der Frauen steht in BielHeute ist fast unvorstellbar, dass der SFV 2013 mit der Stadt Biel einen Nutzungsvertrag abschloss, der unter anderem auf Bundesgeldern basiert. Die Arena in Biel (Kapazität 5200) ist bis 2033 das Nationalstadion der Frauenauswahl. Das zeigt, wo diese vor noch nicht allzu langer Zeit situiert war. Das scheint im EM-Fieber aus der Zeit gefallen. Aber eben. Irgendwann bricht die Nach-EM-Zeitrechnung an.
Nach der EM wird’s für die Frauen erst 2026 mit der Qualifikationsphase für die WM 2027 in Brasilien wieder ernst. Der Abstieg aus der A-Gruppe der Nations League erschwert den Weg an die WM.
Ob das Trainerteam um die 65-jährige Schwedin Pia Sundhage weitermachen wird, klärt sich nach der EM. Die Zeichen standen schon eher auf Abschied als jetzt. Aber auch in diesen Personalien darf nicht das Herz entscheiden. Und schon gar nicht der Moment. Oder besser: Sollte der Verstand leiten, begleitet vom Herzen.
Nicht zu vergessen: Vor dem Turnier waren die Fragen rund um das monatelang sieglose Team zahlreich. Die Unterschiede bleiben, so oder so: 2024 beliefen sich die fixen Lohnkosten (ohne Prämien) für das Trainerteam um Murat Yakin bei den Männern auf annähernd 2 Millionen, bei den Frauen waren es 610 000 Franken.
Eines scheint vorgegeben, mit oder ohne Sundhage: Sparübungen sind bei den Frauen nicht mehr möglich.
Imago/Priscila Bütler / Spp / www.imago-images.de
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
nzz.ch