Géraldine Reuteler weist der Schweiz den Weg in Richtung EM-Viertelfinal – schon mit 7 Jahren zog sie Fussball dem Ballett vor


Denis Balibouse / Reuters
75 Minuten lang mühte sich das Schweizer Frauennationalteam am Sonntagabend gegen Island ab. Dem Team gelang wenig, es liess Ideen vermissen und wirkte zunehmend zermürbt. Eine Szene genügte, um alles zu verändern: Ein Ballgewinn des Captains Lia Wälti. Ein für einmal schnell vorgetragener Angriff. Ein Pass von Sydney Schertenleib auf Géraldine Reuteler. Ein Flachschuss ins Tor, ins Glück.
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Reuteler, 26, spielt bei Eintracht Frankfurt, sie ist eine der besten Skorerinnen der Bundesliga – in der abgelaufenen Saison gelangen ihr in 20 Partien zehn Tore und sechs Vorlagen. Am Mittwoch bei diesem sehr bitteren 1:2 zum EM-Auftakt gegen Norwegen war Reuteler ein Aktivposten gewesen. Gegen Island wurde sie von der Trainerin Pia Sundhage mit einer deutlich defensiveren Rolle bedacht, eine die ihrer Rückennummer 6 eher gerecht wurde. Je länger sich die Schweizerinnen an der isländischen Defensive aufrieben, desto stärker fragte man sich, ob Sundhage sich mit dieser Massnahme wirklich einen Gefallen tut.
Nach zwei Ballett-Lektionen sagte Reuteler: «Ich will lieber Fussball spielen»Doch die ehemalige Welttrainerin behielt recht – Reuteler genügte diese eine Aktion, um den Unterschied zu machen. Diese Zentralschweizerin, die von ihrer Mutter im Alter von 7 Jahren ins Ballett geschickt wurde. Und nach zwei Lektionen zu Hause verkündete, sie werde da nie mehr hingehen. Sie wolle Fussball spielen, so wie ihre älteren Brüder.
Sie verliess das Elternhaus früh, um sich den Traum vom Profifussball verwirklichen zu können – der Verband förderte sie im nationalen Leistungszentrum, wo sie sich manchmal mit Heimweh in den Schlaf weinte. Doch sie biss sich durch. Und jetzt ist sie es, die den Schweizerinnen an ihrem Heimturnier die Türe in Richtung EM-Viertelfinal weit aufgestossen hat. «Wir haben uns diesen Sieg hart erarbeitet und verdient», sagte eine überschwängliche Reuteler nach der Partie.
Sundhage hatte vor dem Spiel gesagt: «Wir wollen die Schweiz stolz machen und Geschichte schreiben.» Das klang nach Pathos, danach auch, dass das Team beabsichtigt, wie am Mittwoch beim Auftaktspiel mit viel Elan in die Partie zu starten. Doch die Schweizerinnen wirkten zögerlich, ihnen gelang gegen einen Widersacher wenig, der auffallend destruktiv agierte. Der sich darauf konzentrierte, die Räume eng zu machen. Um den Spielfluss der technisch überlegenen Schweizerinnen mit Fouls zu stören, zu brechen.
Das Publikum im ausverkauften Wankdorfstadion wartete lange vergeblich auf so etwas wie eine Initialzündung. Der Anhang wirkte reservierter als noch am Mittwoch, als sich das Team von den Fans hatte tragen lassen und sich die auf den Rängen vorhandene Energie auf den Platz übertrug. Es wirkte, als ob alle darauf warteten, dass etwas geschieht.
Doch es war eine sehr ereignisarme erste Halbzeit, die den Zuschauern geboten wurde. Nach einem Lattenschuss der Isländerinnen in der Startminute geschah lange: nichts. Der vermeintliche Schweizer Führungstreffer in der 29. Minute – ein Eigentor nach einem Corner – wurde nach einer Intervention des Videoschiedsrichters aberkannt. Dem Treffer war ein Foul der physisch starken, präsenten, aber glücklos agierenden Stürmerin Svenja Fölmli vorausgegangen. Der einzige andere Aufreger war ein Volley der Lokalmatadorin Iman Beney ins Aussennetz aus 25 Metern. Hätte dieses Geschoss gepasst – es wäre in den Höhepunkt-Clips zum Jahresende rauf und runter gespielt worden.
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— UEFA Women's EURO 2025 (@WEURO2025) July 6, 2025
Stattdessen trafen Reuteler und kurz vor Schluss die eingewechselte Alayah Pilgrim. Es war ein verdienter 2:0-Erfolg, denn Island fand offensiv bis auf zwei Lattenschüsse eigentlich überhaupt nicht statt. Die einzige Ausnahme waren die Einwürfe der Offensivkraft Sveindis Jane Jonsdottir.
Die in den USA beim von der Schauspielerin Natalie Portman, dem früheren Tennis-Star Serena Williams und weiteren prominenten Investorinnen kontrollierten Klub Angel City FC engagierte Jonsdottir hätte vermutlich auch im Diskuswurf Karriere machen können. Vor jedem Einwurf trocknete sie den Ball im Berner Regen mit einem Frottiertuch ab. Und warf ihn dann bis zu 30 Meter in den Strafraum, was zumindest ansatzweise für so etwas wie Torgefahr sorgte. In der Summe war das viel zu wenig – das Turnier ist für die Nummer 14 der Weltrangliste bereits vor dem abschliessenden Gruppenspiel vom Donnerstag zu Ende.
Die Schweizerinnen werden sich derweil in Genf mit Finnland um den Einzug in die K.o.-Phase duellieren. Weil die Finninnen gegen Norwegen 1:2 verloren, genügt der Schweiz bereits ein Remis, um erstmals in der Historie die Gruppenphase zu überstehen. Sundhage könnte mit ihrer Hoffnung, dass dieses Kollektiv Geschichte schreibt, durchaus recht behalten.
nzz.ch