Der Frauenfussball ist wie ein Startup: Er wächst gerade rasend schnell, aber ein Geschäft ist er meist noch nicht


David Price / Arsenal FC via Getty
Als sie ein kleines Mädchen war, wusste Olivia Smith schon, dass sie Sport liebt. Aber sie wusste nicht, welchen Sport sie am meisten liebt. Schliesslich entschied sich Smith gegen Taekwondo – und für den Fussball.
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Der Entscheid hat sich ausgezahlt für die junge Frau aus der kanadischen Provinz Ontario. Seit dieser Woche darf sie sich die teuerste Fussballerin der Welt nennen, sie ist von Liverpool zu Arsenal gewechselt, Ablösesumme laut englischen Medien: rund 1,1 Millionen Franken.
Das ist Rekord im Frauenfussball. Smith löst Naomi Girma ab, für die Chelsea im Januar rund 900 000 Franken zahlte. Nun wird dieser Betrag also schon wieder überboten. Das veranschaulicht das Tempo, mit dem sich der Frauenfussball wirtschaftlich entwickelt.
Er erlebt gerade, um es in den Worten von Stefan Legge zu formulieren, ein «extrem dynamisches» Wachstum. Der Ökonom Legge arbeitet an der Universität St. Gallen, er schaut als Betriebswirt und Makroökonom auf Wirtschaftsthemen und hat ein Buch über das Thema Fussball und Finanzen verfasst.
Am finanzstärksten sind noch immer die US-KlubsDie Transfersummen spiegeln das Wachstum. Es ist noch gar nicht so lange her, dass im Frauenfussball kaum welche flossen. Im Jahr 2018 etwa wurden laut Fifa weltweit lediglich 480 000 Franken für Fussballerinnen bezahlt. Bis 2024 war die Summe auf bereits 12,5 Millionen Franken angewachsen.
Auch die Einnahmen der Klubs stiegen in letzter Zeit rasant. In der deutschen Bundesliga haben sie sich in nur zwei Jahren fast verdoppelt. Die fünfzehn umsatzstärksten europäischen Klubs erwirtschafteten 2023/24 laut Deloitte 109 Millionen Franken – ein Plus von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
An der Spitze liegen der FC Barcelona und der FC Arsenal mit einem Erlös von jeweils 17 Millionen, wobei das grosse Geld anderswo gemacht wird, in den USA, wo Kansas City Current und Angel City FC daheim sind, jährlicher Umsatz: je rund 28 Millionen.
Die finanzielle Stärke der amerikanischen Teams basiert auf der historischen Entwicklung des Frauenfussballs in den USA. Dieser wurde dort schon mit gesetzlich verankerten Investitionen gefördert, als die Frauen in europäischen Ländern froh sein mussten, dass ihnen das Fussballspielen überhaupt erlaubt wurde.
Von diesem Vorsprung profitiert der amerikanische Frauenfussball bis heute. Das Nationalteam ist fünfmaliger Olympiasieger und viermaliger Weltmeister. Höhepunkt war die Heim-WM 1999, deren Final von geschätzten vierzig Millionen Menschen in den USA verfolgt wurde. Der Triumph der Amerikanerinnen ebnete den Weg zur Gründung der ersten professionellen Frauenliga ein Jahr später.
Heute heisst diese National Women’s Soccer League. Bis 2026 wird sie auf sechzehn Teams anwachsen, und überhaupt befindet sie sich in einem Allzeithoch. Zwischen 2013 und 2024 verfünffachte sich die Zuschauerzahl in den Stadien von unter einer halben auf über zwei Millionen. Der neue Fernsehvertrag ist eine Viertelmilliarde Euro wert – eine Steigerung um das Vierzigfache. Den Marktwert von Vereinen wie Kansas City und Angel City schätzt «Forbes» mittlerweile auf rund 220 Millionen Franken.
Als zweite Kraft hat sich die englische Women’s Super League etabliert. Sie hat dank den Erfolgen des englischen Nationalteams – Europameister 2022, WM-Final 2023 – Rückenwind und versucht, den Abstand zur amerikanischen Liga zu verringern. Dabei hilft es, dass die Frauen unter demselben Klubnamen wie die Männer spielen. Die Bekanntheit und die Aufmerksamkeit beschleunigen das Wachstum erheblich, genauso wie die bestehenden Rivalitäten zwischen den Klubs oder die Kontakte zu Sponsoren und TV-Inhabern.
Darüber hinaus sind die Spielerinnen zu Vorbildern geworden, die sich für Gleichberechtigung, die Überwindung von Rollenklischees und die Beseitigung von Gewalt einsetzen. All diese Faktoren erklären den exponentiellen Anstieg der Einnahmen.
So erhöhte sich der Gesamtumsatz an Spieltagen allein in der vergangenen Saison von 8 auf 14 Millionen Euro – durch Ticketverkauf, Merchandising, Verpflegung und Stadionauslastung. Mit dem Aufstieg Englands entsteht ein transatlantischer Wettstreit mit den USA. Die Auswirkungen des Konkurrenzkampfs sind bereits sichtbar – etwa in den rasant steigenden Ablösesummen.
Millionen statt MilliardenDer Frauenfussball boomt, einfach in seiner eigenen Sphäre. Die Männer sind noch immer Lichtjahre entfernt, allein Real Madrid setzte zuletzt über eine Milliarde Franken um. Zur Erinnerung: Die Champions-League-Siegerinnen von Arsenal kamen auf 17 Millionen Franken. Und während im Frauenfussball im letzten Jahr Transfers mit einem Gesamtvolumen von 12,5 Millionen abgewickelt wurden, waren es bei den Männern rund 7 Milliarden.
Aber mit den Vergleichen zwischen Männer- und Frauenfussball ist es so eine Sache, und dabei gilt neben dem Platz dasselbe wie darauf: Der Nutzen hält sich in Grenzen. Der Wirtschaftsexperte Legge sagt, der Vergleich hinke, weil der Frauenfussball dort sei, wo jener der Männer vor dreissig, vierzig Jahren stand. Wichtiger ist für ihn die Feststellung, dass der Frauenfussball an einem interessanten Punkt angelangt ist, weil er drauf und dran ist, ein vielversprechendes Geschäft zu werden.
Heute, sagt Legge, sei das nur an der Spitze der Fall, in den USA, in Barcelona oder London etwa. Wie es um den Grossteil der Klubs im Frauenfussball steht, hat die Fifa unlängst in einem Report aufgezeigt. Daraus geht hervor, dass die Mehrzahl der 669 untersuchten Klubs in 86 Ligen Verluste schreibt, wobei das gerade auf die grösseren, professionelleren Vereine zutrifft. Im Bericht wird der Frauenfussball mit einem Startup verglichen, das zu Beginn viele Investitionen brauche, damit es später Gewinne abwerfe.
Stefan Legge sagt, eine Voraussetzung dafür sei es, «den Schwung der EM mitzunehmen, ihn in die europäischen Ligen zu tragen». Dass die Leute sich nicht nur im heissen EM-Sommer für den Frauenfussball interessieren, sondern auch im kalten Oktober, im Ligabetrieb, ist laut Legge die grosse Herausforderung, weil das Aufmerksamkeit bringt – und Aufmerksamkeit bringt Geld, von Sponsoren, Zuschauern, Fernsehstationen.
Wie viel Olivia Smith, die Rekordspielerin aus Kanada, künftig bei Arsenal verdienen wird, ist nicht bekannt. Laut Branchenkennern beträgt das Salär von Spitzenspielerinnen in England und Spanien zwischen 150 000 und 400 000 Franken. Doch im Durchschnitt werden Fussballerinnen laut dem Fifa-Report mit nur knapp 8000 Franken entschädigt – pro Jahr, wohlgemerkt.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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