Der EM-Sieg der deutschen Frauen gegen Frankreich: Faszinierender kann ein Fussballspiel nicht sein


Es gab einmal eine Zeit, da galt das deutsche Fussballnationalteam der Männer als ein ganz besonderes: Es wurde eine «Turniermannschaft» genannt, und diese Bezeichnung war exklusiv. Denn wenn einmal ein Turnier anstand, konnte man ziemlich sicher sein, dass die Deutschen recht weit kommen würden, und zwar unabhängig davon, wie die Bedingungen waren. «Turniermannschaft»: Das klang sperrig, allerdings auch bedrohlich.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Von der furchterregenden Bezeichnung hat sich das deutsche Nationalteam der Männer unterdessen erfolgreich emanzipiert. Die letzte Teilnahme an einem Halbfinal einer Welt- oder Europameisterschaft liegt neun Jahre zurück, damals schieden die Deutschen in einem grossen Spiel gegen Frankreich aus.
Seitdem reihen sie mediokre, teilweise auch erschreckende Ergebnisse aneinander. Zweimal an Weltmeisterschaften bedeutete sogar die Vorrunde Endstation. Die Turniermannschaft ist nur noch im Antiquariat zu besichtigen.
Die Frauen treten an die Stelle der MännerEinem Frauenteam lässt sich das Etikett «Turniermannschaft» allein schon begrifflich schwer anheften, auch wenn der eine oder andere Fernsehkommentator an dieser EM es aus Gewohnheit tut. Aber nach dem Viertelfinal gegen die favorisierten Französinnen könnte einem schon der Gedanke kommen, dass diese Equipe, die der Trainer Christian Wück zusammengestellt hat, in die Rolle geschlüpft ist, die früher die Männer darstellten.
Denn die Qualifikation für den Halbfinal (gegen den Weltmeister Spanien) nach Elfmeterschiessen war nicht nur spektakulär. Sie war nach einer Viertelstunde Spielzeit geradezu utopisch erschienen, denn ab da spielte Deutschland zu zehnt. Und zuvor, gegen Schweden, war das DFB-Team in Unterzahl regelrecht auseinandergefallen (1:4).
Doch die Art und Weise, wie es sich in den Viertelfinal in Basel hineinkämpfte, war imponierend. Der Erfolg ist geradezu erlitten worden in einem Spiel voller irrwitziger Wendungen, so dass am Ende nach Verlängerung und Penaltyschiessen ein lupenreiner Charaktertest stand. «Stolz»: Das war der wohl am häufigsten benutzte Begriff von Spielerinnen und Trainer. Und das keineswegs zu Unrecht.
Gut zwei Stunden inklusive der grosszügig bemessenen Nachspielzeit mussten die Deutschen dezimiert absolvieren, weil Kathrin Hendrich die rote Karte sah wegen Haareziehens, dazu noch einen Rückstand ausgleichen, um dann noch das Elfmeterschiessen zu erzwingen. Das ist zweifellos eine grandiose Leistung. Und nebenbei die vielleicht beste Werbung, die der Frauenfussball in Deutschland je gehabt hat.
Erfolge, die gab es früher reichlich. Titel wurden in Serie gewonnen, an Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Der ganz grosse Wurf allerdings gelang den Frauen für ihren Sport nicht: anerkannt zu werden als eine eigenständige Disziplin, bei der niemand mehr auf die Idee kommt, sie mit dem Fussball der Männer zu vergleichen.
Solche Spiele wie das gegen die Französinnen aber stehen für sich. Denn hier wurde alles geboten, was grossen Fussball auszeichnet. Die blanke Faszination des Spiels kennt keine Geschlechtergrenzen. Dass es ein Drama war, in dem die Deutschen die glücklichere Rolle einnahmen, macht den Match zu einem Klassiker in den deutschen Fussballannalen.
Die Equipe wächst an den AufgabenSchliesslich waren die Widrigkeiten gewaltig. Die Verletzung von Giulia Gwinn im ersten Spiel, der Ausfall von Carlotta Wamser, die gegen Schweden wegen eines Handspiels des Feldes verwiesen wurde. Aber der Auftritt gegen Frankreich war getragen von dem unbedingten Willen, nicht zu verlieren. Die Captain Janina Minge sagte kurz nach dem Abpfiff in einem Interview, dass es nach der roten Karte nur noch darum gegangen sei, sich irgendwie ins Elfmeterschiessen zu retten.
Denn dort haben die Deutschen mit Ann-Katrin Berger eine Fachkraft, die sich auf das Entschärfen von Penaltys blendend versteht und selbst sicher verwandelt. Dass Berger aber auch abseits eines Elfmeterschiessens eine grossartige Torhüterin ist, zeigte sie in der Verlängerung mit einer aberwitzigen Parade.
Für den Fall der Fälle sei sein Team vorbereitet gewesen, sagte der Trainer Christian Wück. Und doch ist ein Penaltyschiessen unberechenbar. Sjoeke Nüsken hatte in der regulären Spielzeit einen Elfmeter vergeben. In der finalen Nervenprobe liess sie sich überreden, als sechste deutsche Schützin anzutreten – und wuchtete den Ball ins Tor. Ihr Auftritt stand prototypisch für die DFB-Equipe. Keine «Turniermannschaft» nach altem Brauch, aber ein Team, das an seinen Herausforderungen reift.
nzz.ch