Am Ende der Klub-WM bleibt für den Fußball eine bittere Wahrheit

Wir können schimpfen und wettern, wie wir wollen: Fifa-Präsident Gianni Infantino zieht sein XXL-Turnier auch in Zukunft durch. Die Klub-Weltmeisterschaft arbeitet perfekt als Gelddruckmaschine und Marketing-Instrument. Dass der erste offizielle Weltmeister FC Chelsea heißt, passt da nur ins Bild. Ein ernüchterndes Resümee unseres Kolumnisten Pit Gottschalk
- Im Video oben: Trump will bei Siegerehrung partout nicht von Bühne – Chelsea-Stars verwirrt
Auf meinem beschaulichen Fußballblog Fever Pit’ch habe ich kürzlich eine gewagte These verbreitet und behauptet: „Die Klub-WM ist die beste Erfindung seit Gründung der Champions League 1992“. Allein die Überschrift löste ein mittleres Beben in den Sozialen Medien aus.
Ich war gezwungen, eine neue Zeile gegen den Shitstorm zu formulieren: „Die Wahrheit über die Klub-WM, die keiner hören will“. Die Wahrheit ist: Die Klub-WM ist gekommen, um zu bleiben.
Bevor Leser jetzt wieder nach Luft schnappen und zum Konter ausholen: Mir muss nun wirklich niemand erklären, wie aufgeblasen und konstruiert das neue XXL-Turnier des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino daherkommt und die Sommerpause zerstört. Ich selbst war ja für FOCUS online zwei Wochen drüben in den USA und habe mir fast ein Dutzend Spiele angesehen. Meine Dienstreise in Miami und New Jersey nahm zeitweise groteske Züge an.
Präziser kann man nicht beschreiben, um was es bei dieser Klub-WM immer ging: ums Geld. Damit die 32 Teilnehmer ihren Anteil an einer Milliarde US-Dollar Preisgeld erbeuten konnten, tolerierten sie praktisch alles, was professionelles Fußballspielen stört, hindert und kaputtmacht. Auf einem Zettel notierte ich mir während des Turniers, was mir negativ auffiel, sogar die 30 Euro für Döner. In der zweiten Woche musste ich meine Notizen auf einer weiteren Seite fortsetzen.
Es fängt schon bei den Stadien an: Die meisten sind erstens nicht für Fußball und zweitens nicht für den Sommer geeignet. Nehmen wir das Endspielstadion: Das Metlife Stadium in New Jersey, eine Autostunde von New York City entfernt, ist eine Betonschüssel ohne Dach. Von September bis Januar können die Giants und Jets hier Football spielen - aber unter der Juli-Sonne schwitzen die Zuschauer bei tropischen Temperaturen und vertrocknet der Rasen beim Zusehen.

Über die Arbeitsfläche klagten alle europäischen Mannschaften: Die Amerikaner mit ihre Vorliebe für Kunstrasen beim American Football haben keine Ahnung, wie man Naturrasen verlegt, pflegt und bewässert, damit Fußbälle ihren Passweg vom Absender zum Adressaten finden. Das Wasser aus den Sprinkleranlagen verdunstete, bevor es den Boden überhaupt erreichte. Nur wenige Arenen, zum Beispiel in Atlanta, hatten ein schützendes Dach. Fast alle anderen: pralle Sonne.
Das ist bei Anstoßzeiten um 12 Uhr mittags eine Tortur für alle Beteiligten. Wir erinnern, wie die Ersatzspieler von Borussia Dortmund und Bayern München bei besonders heißen WM-Spielen in Cincinnati/Ohio in ihren klimatisierten Umkleidekabinen blieben, um dem Hitzschlag zu entgehen. Das Problem droht nächstes Jahr, wenn die Nationalmannschaften zu ihrer Weltmeisterschaft 2026 anreisen, wieder. Die Fifa will die Uhrzeit überdenken. Aber macht eine Verlegung auf 15 Uhr die Sache besser?
Stundenlange Flüge zu Spielstätten in Cincinnati oder Charlotte waren nicht nur klimaschädlich, sondern auch sinnbefreit: Zu viele WM-Spiele fanden quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil sich kein Ami für Soccer unter Sonne und während der Arbeitszeit interessierte. Bei manchen Begegnungen verloren sich 4000 Zuschauer in riesigen Arenen, sogar die Bayern- und BVB-Fans waren nur rote oder gelbe Farbtupfer vor der Kulisse einer gewaltigen Architektur.

Die Fifa zog ihr Stadionspektakel mit Hymne, Bannern und Einlaufen der Startelf trotzdem gnadenlos durch. The Show must go on: Dazn lieferte die WM-Spiele 24/7 live in aller Welt aus und wählte den Kamera-Ausschnitt so, dass man ein ganz anderen Eindruck gewinnen sollte. Denn so war die Fifa-Wirklichkeit zugeschnitten: alles toll, great, phänomenal. Für Spiele mit der Beteiligung südamerikanischer und arabischer Mannschaften mag das sogar so gewesen sein.
Wir Europäer müssen endlich begreifen: Die Top-Klubs aus der alten Welt bestimmen zwar noch immer das Sportliche (drei der vier Halbfinalisten kamen aus Europa), aber der Weltverband schaut auf die neuen Märkte. Boca Juniors und Flamengo Rio de Janeiro aus Südamerika, Inter Miami aus den USA, Al-Hilal aus Saudi-Arabien, auf solche Teams kommt es an. Und die lieben die Duelle mit dem Establishment aus England, Spanien, Frankreich. Zumindest: mehr, als wir glauben.
Gerne können wir das Fifa-Narrativ von zwei Milliarden WM-Zuschauern weltweit anzweifeln, aber meine Ausführungen haben die These vom Textanfang hoffentlich untermauert: Aus Fifa-Sicht ist diese Klub-WM als Gelddruckmaschine und Marketing-Instrument ein Erfolg. Die Mäkelei von uns Deutschen kennt Präsident Infantino schon, wir sind ihm egal. Er weiß, dass er uns niemals von sich und seiner Expansion überzeugen kann. Darum sein Blick Richtung Saudi-Arabien.
Die Scheichs finanzieren ihm das Ganze. Darum liefert er ihnen die WM-Austragung 2034 und vorher die Ausrichtung der nächsten oder übernächsten Klub-WM frei Haus. Die eine Hand wäscht die andere, wir kennen das. In zehn Jahren schauen wir zurück und stellen fest: In 100 Jahren Fifa haben dann mehr Weltmeisterschaften in arabischen Ländern stattgefunden als in England, dem Mutterland des Fußballs. Dagegen hilft auch kein Shitstorm.
FOCUS