Wie Popeye nach einer Überdosis Spinat: Warum Merz schon jetzt blaue Augen sammelt

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Wie Popeye nach einer Überdosis Spinat: Warum Merz schon jetzt blaue Augen sammelt

Wie Popeye nach einer Überdosis Spinat: Warum Merz schon jetzt blaue Augen sammelt

Friedrich Merz’ erste Regierungserklärung klang, als wolle er das Land einmal strammziehen. Viel Pathos, wenig Plan. Ein Kommentar.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag am Mittwoch.Kay Nietfeld/dpa

Friedrich Merz steht leicht vorgebeugt am Rednerpult, als wolle er gleich Anlauf nehmen. Es ist seine erste große Ansprache als Bundeskanzler nach einer Wahl, die nicht gerade vor Stärke strotzte. Zweiter Wahlgang, zäher Start, kleiner Dämpfer. Aber nun: Die Stimme schwer, eher leise, der Blick fest, die Pose staatsmännisch. Die Botschaft: Jetzt wird durchgegriffen.

45 Minuten redet der Kanzler am Mittwoch bei seiner ersten Regierungserklärung. Über Kraftanstrengung, Verantwortung, Sicherheit, Wohlstand. Über eine neue Regierung, die nicht redet, sondern handelt. Merz spricht auch über sich selbst, dass er als Kind der 1970er- und 1980er-Jahre noch darauf getrimmt war, nur nach vorne zu schauen und viel zu leisten. Das Signal ist deutlich: Merz will umbauen, durchziehen, Deutschland „fit machen“, dabei am besten vieles zurück in die wirtschaftsgoldenen 1950er-Jahre zurückwerfen. Und er will kein Verwalter sein. Doch wer genau hinhört, erkennt: noch viel zu viel Muskeln, wenig Muskelfasern.

Er vertritt eine Politik im Hochdruckmodus. Merz erinnert zunehmend an die Comicfigur Popeye nach einer Überdosis Spinat. Aufgedreht, die Adern dick, jederzeit bereit, dem politischen Gegner eine zu verpassen. Und er prescht vor: schärfere Grenzkontrollen, Sozialstaatsrhetorik mit Prügelpädagogik, ein Tonfall zwischen „Keiner hat mehr Lust auf Diskussion“ und „Jetzt wird aufgeräumt“. Wer widerspricht, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Wer bremst, steht der Nation im Weg. Und wenn’s nicht läuft, wie es soll, wird gleich mal per Dekret regiert – gerne vorbei am Parlament.

Jüngstes Beispiel: die Sache mit dem nationalen Notstand in der Migrationspolitik. Erst groß angekündigt, dann ein unauffälliges „äh, nein doch nicht“ und schließlich das Rückzugsgefecht auf EU-Ebene. Pokerface gone wrong.

Sozialstaat? Für Merz eine Einstiegsdroge in die Faulheit

Viele Vorschläge des Kanzlers wirken oft, auch an diesem Mittwoch, wie aus dem Fitnessstudio der 1990er: härter arbeiten, weniger absichern, mehr Leistung, weniger lamentieren. Sozialstaat? Einstiegsdroge in die Faulheit. Work-Life-Balance? Weichei-Kram. Die Vier-Tage-Woche? Ein Witz. Vieles klingt kernig und bleibt komplett unpraktikabel. Man vermisst den Mittelweg statt eines Kulturkampfes gegen den vermeintlichen Zeitgeist.

Und man vermisst die Lösungen. Denn noch drängender als Feldzüge gegen die Arbeitsmoral wäre es, endlich die Unternehmen steuerlich und bürokratisch zu entlasten. Doch das hat die neue Koalition auf die lange Bank geschoben. Ein fatales Signal an den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Merz hat sich daher schon einige blaue Augen abgeholt. Sein 30-Tage-Ultimatum an Wladimir Putin wurde von Moskau kühl ignoriert. Seine Reaktion lautete, trotzig weitere Sanktionen anzukündigen, deren Wirkung bislang offen ist. An diesem Mittwoch spricht er nicht darüber. Stattdessen warnt er dramatisch, der Krieg in der Ukraine entscheide über nichts Geringeres als die Zukunft von Recht und Gesetz in Europa – oder eben die Rückkehr zur Tyrannei. Pathos statt Plan.

Erste Regierungserklärung von Merz: Nun muss er liefern

Ein weiterer Schlag ins Leere ist die vollmundige Ankündigung, Deutschland solle nun die „stärkste Bundeswehr Europas“ werden – ein Projekt, das Jahre braucht, Milliarden verschlingt und derzeit eher von Lieferengpässen als von schlagkräftiger Aufrüstung geprägt ist. Und als wäre das alles noch nicht ambitioniert genug, erklärt Merz, man werde jetzt „bauen, bauen, bauen“ – als Antwort auf die Wohnungsnot. Ein neuer Generationenvertrag solle her, kündigt er an. Große Worte, großer Anspruch, große Ziele. Aber wer nur Schlagzeilen produziert und dabei ständig am politischen Beton abprallt, sollte langsam erkennen: Mit jeder Ankündigung ohne Wirkung wächst die Sammlung an blauen Augen.

Merz erhält viel Applaus am Mittwoch nach seiner Erklärung im Bundestag, vielleicht bedient er exakt das, was viele in der Politik erwarten. Doch dabei darf man nicht vergessen: Kraftmeierei ersetzt keine Koordination. Spinat rein, Faust raus – aber Politik ist nun mal kein Cartoon. Wer wirklich etwas durchsetzen will, braucht keine plakativen Reden, sondern Mehrheiten, Fingerspitzengefühl und, auch das: Kompromisse. Merz muss liefern. Popeye ist ohne seinen Spinat nur ein dünner Seemann mit großer Klappe.

Berliner-zeitung

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