Schlimm für Merz, aber nicht für Deutschland: Warum die selbsternannte Mitte die Kontrolle verlieren musste

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Schlimm für Merz, aber nicht für Deutschland: Warum die selbsternannte Mitte die Kontrolle verlieren musste

Schlimm für Merz, aber nicht für Deutschland: Warum die selbsternannte Mitte die Kontrolle verlieren musste

Manchmal kann man die Türen so fest verriegeln und die Gardinen so dicht zuziehen, dass die Außenwelt nicht mehr nach innen dringt. Während draußen Zerfall fortschreitet und Unmut tobt, wirkt es im Inneren, als wäre alles beim Alten. So fest hatten die Parteien der selbsternannten Mitte die Tore des Bundestages verbarrikadiert, dass sie sich vor der Auflösung im Lande sicher wähnten. Doch der angehäufte Verdruss drang bis in die Urnen der Kanzlerwahl. Um 10.07 Uhr fand der Zorn trotzdem seinen Weg in die selbsternannte Mitte des Landes. Die Koalition wählte ihren Kandidaten nicht zum Kanzler.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, zum ersten Mal nach 20 Bundeskanzlerwahlen, geht kein Kanzler aus dem ersten Wahlgang hervor. Eine theoretische Mehrheit von zwölf Stimmen besaß der Kandidat von CDU und CSU. Aber am Ende fehlen 18. Mindestens sechs Mitglieder von Schwarz oder Rot haben nicht für Merz gestimmt. Damit ist klar: Die tiefen Risse des Landes reichen endgültig bis ins Herz der Republik. Die Etablierten haben die Kontrolle verloren.

Merz hat immer wieder den Populisten gegeben – aber nur einen halben

Das zeigt einmal: Nicht alle in den Fraktionen glauben an den heiligen Wert der Stabilität, den ihre Parteispitzen die ganze Zeit beschwören. Wahrscheinlich waren es Merz-Todfeinde aus der SPD, die in ihm den nächsten Hitler sehen, aber vielleicht auch verbitterte Unioner, die er nicht bedacht hatte. Wie dem auch sei, das Gefüge hält nicht mehr. Die Abweichler sehen keinen Endkampf um die Funktionsfähigkeit Deutschlands – oder sie sehen ihn darin, Merz zu verhindern. Klingbeil und Merz haben diesen Unmut nicht erkannt. Sie haben sich in ihrer Einschätzung der Geschlossenheit getäuscht. Ihre Selbsttäuschung geht so weit, dass auch Stunden nach der gescheiterten Abstimmung keine Klarheit darüber herrscht, welche Wahlgänge wann als nächstes rechtlich möglich sind – von ihrer politischen Machbarkeit ganz zu schweigen. Es gab keinen Plan B.

Merz hat im Wahlkampf immer wieder den Populisten gegeben – aber nur einen halben. Mit Basta-Ansagen und Hauruckaktionen preschte er vor. Doch anders als die erfolgreichen Populisten dieser Welt zuckte er später zurück: Bei Abstimmungen unter Inkaufnahme von Stimmen der AfD, bei Anfragen zu NGOs, bei der Schuldenbremse. Morgen hätte er eigentlich sein zentrales Wahlversprechen der Zurückweisungen einlösen müssen. Doch seit Wochen weichen er und seine Leute es auf.

Trump und Orban ziehen durch. Merz spielt Populismus, den er nicht durchhalten kann. Diese halbherzige Strategie ist heute an ihr vorläufiges Ende gekommen. Aber eine noch grundlegendere Leugnung der Wirklichkeit ist vorbei. Nämlich, dass alles so weitergehen wird wie bisher – ab jetzt eben mit Billionenschulden und Kriegstüchtigkeit. Aber letztlich wie immer.

Wahrscheinlich wird Merz im zweiten oder dritten Wahlgang zum Kanzler gewählt. Denn nun ist der Schreck bei allen groß, es könnte wirklich alles anders werden. Aber die Fassade hat einen Sprung, der sich nicht mehr kitten lässt. Aber das muss nicht schlecht sein. Denn ohne Schmerzen wird es keine Erneuerung geben – ohne Wirklichkeit im Bundestag auch keine gute Politik.

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Berliner-zeitung

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