Psychische Probleme in Krisenzeiten: Wie man trotzdem gesund bleibt

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Psychische Probleme in Krisenzeiten: Wie man trotzdem gesund bleibt

Psychische Probleme in Krisenzeiten: Wie man trotzdem gesund bleibt

Die Corona-Pandemie war 2022 noch nicht ausgestanden, als Russland die Ukraine überfiel. Die Angst vor einem Krieg, der sich über die Ukraine hinaus ausbreiten könnte, wächst. Was macht dieser permanente Krisenmodus mit unserer psychischen Gesundheit?

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Viele Menschen erleben die Krisen wie eine Abfolge von Wellen, die ohne spürbare Erholungspausen aufeinanderprallen und den Alltag dauerhaft belasten. Das kann ein Gefühl des Kontrollverlusts hervorrufen und zu chronischem Stress sowie Erschöpfung führen. Viele befinden sich in einem anhaltenden inneren Alarmzustand – ausgelöst nicht nur durch abstrakte Sorgen, sondern auch durch ganz reale Belastungen wie Inflation, Klimakrise und den Krieg in Europa, der gefühlt immer näher rückt. All das kann psychische Belastungen verstärken – und im weiteren Verlauf auch zu Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schlafstörungen führen.

Machen Krisen und Kriegsängste krank oder verstärken sie nur bereits bestehende psychische Erkrankungen?

Solche Belastungen machen nicht automatisch krank – aber sie können bei psychisch vulnerablen Menschen oder bei persönlicher Betroffenheit psychische Erkrankungen auslösen oder bestehende Symptome verstärken. Besonders deutlich zeigte sich das während der Corona-Pandemie: die Pandemie führte zu einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sowie Hochbetagten, die von den Einschränkungen in Schulen und Alten- bzw. Pflegeheimen besonders stark betroffen waren.

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Eva-Lotta Brakemeier ist Professorin für Klinische Psychologie & Psychotherapie an der Universität Greifswald, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und Mitglied im Wissenschaftsrat.

Wie schafft man es, in diesen Zeiten nicht „verrückt“ zu werden - vor allem, wenn man anfällig für psychische Erkrankungen ist?

Zunächst: Ängste und Sorgen sind menschlich – sie zu empfinden, ist völlig normal. Wichtig ist jedoch, nicht in eine ständige Gedankenspirale zu geraten, sondern aktiv etwas für die eigene psychische Stabilität zu tun. Dabei helfen vier grundlegende Bewältigungsstrategien, die evolutionär in uns angelegt sind. Unter Stress neigen wir zu Kampf, Flucht oder Erstarren – auch bekannt als „Fight, Flight, Freeze“. Diese Reaktionen lassen sich allerdings auch positiv nutzen: Statt zu kämpfen, können wir uns engagieren. Statt zu erstarren, können wir lernen zu akzeptieren, was wir momentan nicht ändern können. Und statt und zurückzuziehen, können wir gezielt Selbstfürsorge betreiben. Die vierte Reaktion ist das sogenannte „Tend and Befriend“ – also sich anderen zuzuwenden, Unterstützung zu geben und zu suchen. Diese soziale Verbundenheit wirkt nachweislich stabilisierend.

Eskapismus, Verdrängen und Abschalten sind also keine brauchbaren psychologischen Resilienzstrategien?

Es kommt auf das Maß an: Zeitweises Verdrängen, bewusste Ablenkung oder das gezielte Abschalten können durchaus hilfreich sein – vor allem als Teil der Selbstfürsorge. Entscheidend ist die gute Balance: Wenn Rückzug hilft, neue Kraft zu schöpfen, ist das gesund. Wir sollten uns dabei auch dankbar bewusst machen, dass wir in einer privilegierten Lage sind, uns solche wohltuenden Auszeiten überhaupt leisten zu können – viele Menschen, etwa an der Front in der Ukraine, haben diese Möglichkeit nicht oder nur begrenzt.

Im Frontabschnitt in der Nordostukraine endet die von Russland ausgerufene Waffenruhe nach nicht einmal acht Stunden.

Quelle: Andy Spyra

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Als Journalist würde ich den Menschen immer empfehlen, sich umfassend über die Weltlage zu informieren. Wie halten Sie das in Zeiten, in denen Nachrichten selten positiv sind?

Ich würde klar für Qualität statt Quantität plädieren. Sich durch seriöse, fundierte Quellen zu informieren, kann Ängste reduzieren und Resilienz stärken – weil seriöse Informationen diffuse Ängste reduzieren und Handlungsspielräume eröffnen können. Dagegen führt das sogenannte „Doomscrolling“, also das ziellose Konsumieren negativer Nachricht, nachweislich zu mehr Stress, Angst und depressiven Symptomen. Weniger ist hier oft mehr – auch für die psychische Gesundheit.

Wer sich vor Ort engagiert, sei es in der Obdachlosen- oder Flüchtlingshilfe, ändert zumindest an der großen Weltlage erst einmal wenig. Warum hilft ein solches Engagement dennoch, persönlich „klarzukommen“?

Weil es uns psychisch stärkt, gebraucht zu werden und Sinn zu erleben. In der Psychologie unterscheiden wir zwischen hedonistischem und eudaimonischen Wohlbefinden. Ersteres entsteht durch kurzfristige angenehme Erfahrungen – etwa beim Sonnenbaden, beim Genuss eines guten Essens oder einem Spieleabend mit Freunden. Eudaimonisches Wohlbefinden hingegen entsteht durch sinnstiftende Tätigkeiten und tiefe soziale Verbundenheit – zum Beispiel, wenn man sich in einer Nachbarschaftsinitiative engagiert, ältere Menschen im Alltag unterstützt, Kinder betreut oder sich gesellschaftlich einbringt, etwa durch politische Bildung oder Klimaaktivismus. Solches Engagement wirkt nachweislich stabilisierend – es fördert langfristige Zufriedenheit, stärkt die Resilienz und gibt das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Und wer sich engagiert, ist nicht allein. Kommen wir grundsätzlich besser durch Krisen, wenn wir nicht vereinzeln?

Ja, Studien belegen dies deutlich. Einsamkeit erhöht das Risiko für psychische und auch körperliche Erkrankungen. Einsame Menschen sind zudem anfälliger für radikale Ideologien. Deshalb ist soziale Verbundenheit ein wichtiger Schutzfaktor – individuell und gesellschaftlich. Ich war mit zwei Delegationsreisen 2024 in der Ukraine und habe dort trotz aller Not unglaublich viel Solidarität, Wärme und gegenseitige Unterstützung erlebt. Diese Gemeinschaft und Verbundenheit trägt uns durch schwere Zeiten – und schützt die psychische Gesundheit.

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Bundestagsabgeordneter Ralf Stegner (SPD): "Die Sozialdemokratie braucht als Allerletztes von einem deutschen Konservativen Ratschläge, wie wir mit Demokratiefeinden umgehen. Mit Blick auf den Mitgliederentscheid in der SPD muss man dem einen oder anderen Kollegen in der Union sagen: Man ist nicht zur Dummheit verpflichtet."

Die Kritik an Ralf Stegner (SPD) nach seiner Baku-Reise zu einem Treffen mit russischen Putin-Vertrauten ist groß. Gegenüber den Kieler Nachrichten wehrt sich der Sozialdemokrat dagegen: „Wo der Schaden dieser Reise liegen soll, wüsste ich gern.“

Ist psychische Resilienz etwas, das man wie einen Muskel trainieren kann?

Ein Teil unserer Resilienz ist tatsächlich angeboren, aber vieles lässt sich auch gezielt erlernen und stärken. Fähigkeiten wie Selbstmitgefühl, Emotionsregulation, Akzeptanz oder Problemlösekompetenz können Schritt für Schritt aufgebaut werden. Bereits kleine, regelmäßige Übungen zeigen Wirkung: Eine Achtsamkeitsminute hilft, im Moment anzukommen. Ein Dankbarkeitstagebuch schärft den Blick für das Positive. Der Perspektivwechsel – „Was würde eine gute Freundin mir jetzt raten?“ – fördert Selbstfürsorge und emotionale Distanz. Klare Tagesziele geben Struktur. Schon wenige Minuten bewusste Praxis pro Tag können die innere Widerstandskraft spürbar stärken.Aber: Resilienz ist nicht nur eine individuelle Aufgabe. Wir brauchen gesellschaftliche Strukturen und Rahmenbedingungen, die psychische Gesundheit schützen und fördern – in allen zentralen Lebenswelten, also in Schulen, Kitas, Familien, Betrieben und sozialen Einrichtungen. Ein gesundes, wertschätzendes Klima in Bildungseinrichtungen und Arbeitsumfeldern ist dafür ebenso entscheidend wie niedrigschwellige Präventionsangebote. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass im Koalitionsvertrag konkrete Maßnahmen zur Förderung psychischer Gesundheit – insbesondere auch im Arbeitsleben – verankert wurden.

Militärs und Sicherheitsexperten warnen zunehmend davor, dass Russland spätestens 2029 in der Lage sein könnte, ein europäisches Nato-Land anzugreifen. Wie sollte die Politik die Bürgerinnen und Bürger auf solche Gefahren vorbereiten - ohne Panik zu schüren?

Durch transparente, realistische und zugleich einfühlsame Kommunikation. Die Menschen brauchen keine Beruhigungsfloskeln oder Schönfärberei – sondern Klarheit, Einordnung und das Gefühl, ernst genommen zu werden und nicht allein zu sein. Vertrauen entsteht nicht durch Verharmlosung, sondern durch Ehrlichkeit und Dialog. Ein gelungenes Beispiel sind die „Zeitenwende-Veranstaltungen“ der Münchner Sicherheitskonferenz: Dort kommen Expertinnen und Experten mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch, erklären mögliche Szenarien, beantworten Fragen – ohne diffuse Ängste zu schüren, aber auch ohne auszublenden. Solche Diskussionsformate sind wertvoll, auch zur Förderung der Demokratie.

Die psychologische und psychiatrische Versorgungssituation in Deutschland ist seit Langem angespannt, Therapieplätze fehlen. Droht angesichts sich verschärfender Krisen eine weitere Überlastung des Versorgungssystems?

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Der Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung wächst seit Jahren – nicht erst seit der Corona-Pandemie, aber die Pandemie hat vieles verschärft. Positiv ist: Immer mehr Menschen „outen“ sich und suchen aktiv Hilfe, was auch mit dem Abbau der Stigmatisierung zu tun hat. Aber das Versorgungssystem muss Schritt halten – besonders in ländlichen Regionen und für Kinder und Jugendliche gibt es große Engpässe, hier muß die Bedarfsplanung angepasst werden. Zudem ist es entscheidend, in Prävention und Frühintervention zu investieren, damit Belastungen gar nicht erst zu behandlungsbedürftigen Erkrankungen sich entwickeln oder gar chronifizieren.

Der Bundestag hat im März ein gigantisches Sondervermögen und die Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben beschlossen. Auch Hilfsorganisationen melden Bedarf aus diesem Topf an. Sollte der Bevölkerungsschutz auch stärker psychologisch gedacht werden – und wo würde Geld aus dem Schuldentopf helfen?

Unbedingt. Eine widerstandsfähige Gesellschaft braucht nicht nur militärische, sondern auch psychische Resilienz. Psychisch belastete oder erkrankte Menschen sind im Ernstfall weniger leistungsfähig und verletzlicher. Investitionen in niedrigschwellige Angebote – etwa Onlineprogramme, Krisenberatungen oder Schulprojekte – wirken schnell und präventiv. Besonders wichtig ist es, Kinder und Jugendliche in den Blick zu nehmen. Die Schule ist der ideale Ort für Prävention, weil wir dort alle erreichen. Es gibt bereits sehr gute, evidenzbasierte und hilfreiche Angebote. Diese müssen aber flächendeckend und nachhaltig verankert werden. Und: Die Politik muss die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung sicherstellen. Sonst droht in wenigen Jahren eine massive Versorgungslücke.

Nicht nur die Gesellschaft, auch die meisten Psychotherapeuten in Deutschland kennen Krieg nicht aus eigener Anschauung. Können sie mit einer Bevölkerung umgehen, die Krieg unmittelbar erlebt?

Ja, grundsätzlich sind wir fachlich gut vorbereitet. Wir wissen, welche psychischen Belastungen in Kriegssituationen besonders häufig auftreten – posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen und Depressionen – und wie wir diesen mit evidenzbasierten Verfahren begegnen können. Ich selbst war zweimal 2024 in der Ukraine, habe dort Gruppentherapien sowie Workshops durchgeführt und begleite seitdem ukrainische Therapeutinnen und Therapeuten in Online-Schulungen zu Kurzzeittherapien – auch im Umgang mit existenziellen Themen wie Tod, Trauer und dem Leben in permanenter Unsicherheit. Sollte es je zu einem Krieg in Deutschland kommen, müssten selbstverständlich auch unsere psychotherapeutischen Versorgungsstrukturen angepasst werden. Und wir dürfen nicht vergessen: Auch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wären dann selbst unmittelbar betroffen – auf diese doppelte Belastung gilt es, sich vorzubereiten.

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Wenn wir gemeinsam lernen, mit Unsicherheit umzugehen, füreinander da zu sein und psychisch stabil zu bleiben, bereiten wir uns nicht nur auf Krisen vor – wir gestalten aktiv eine resiliente, mitfühlende und demokratische Zukunft.

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