Pride-Saison | CSD in Bautzen: Wie groß ist die Gefahr durch Neonazis?
Hunderte schwarz gekleidete Neonazis, eine brennende Regenbogenflagge und eine abgesagte After-Show-Party: die rechten Störaktionen beim Bautzener CSD wurden zum Sinnbild für die zunehmende Queerfeindlichkeit. Rechtsextreme Gruppen merkten, dass sich durch Gegenproteste bei Pride-Paraden eine große Anhängerschaft mobilisieren lässt, Gruppen gründeten und vernetzten sich. Wissenschaflter*innen sprachen von einer »neuen Generation Neonazis«, die sich am Hass auf queere Menschen nährt.
Am Sonntag, dem 10. August, findet der CSD in Bautzen zum dritten Mal statt. Zeit für ein Zwischenfazit zur diesjährigen Pride-Saison: Konnten die rechten Mobilisierungen an die Dynamik des Vorjahres anknüpfen? Und was ist vom CSD in Bautzen zu erwarten?
Wie viel Anti-CSD Aktionen es bisher gabDas Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) und der Verein Democ haben gemeinsam den Stand bis zum 21. Juli ausgewertet. Demnach haben in Deutschland bis dahin 132 CSDs stattgefunden. Rechtsextreme Gegendemonstrationen gab es laut Cemas und Democ bisher bei 17 Pride-Paraden. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres gab es 122 CSDs und laut Cemas nur vier Gegenproteste.
Die größte diesjährige Anti-CSD-Demonstration fand bisher – genau wie bis zum CSD in Bautzen im Vorjahr – in Dresden statt, Cemas und Democ berichten von rund 120 Teilnehmenden, die einem Aufruf der rechtsextremen Gruppe Elblandrevolte gefolgt sind. 2024 zählte Cemas 90 Gegendemonstrierende.
Weitere größere Neonazi-Demonstrationen anlässlich eines CSDs fanden in diesem Jahr bisher im baden-württembergischen Pforzheim (90 Teilnehmer*innen) statt, im brandenburgischen Falkensee sowie in Mönchengladbach in Nordrhein-Westfalen (jeweils etwa 60 Teilnehmer*innen). Noch stärker als 2024 zeigt sich damit, dass rechte Gegenaktionen bei CSDs ein gesamtdeutsches Phänomen sind.
»Es bleibt noch abzuwarten, ob die großen rechtsextremen Anti-CSD-Proteste aus dem letzten Jahr dieses Jahr größer oder kleiner ausfallen werden.«
Joe Düker Forscher am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)
»Es bleibt noch abzuwarten, ob die großen rechtsextremen Anti-CSD-Proteste aus dem letzten Jahr dieses Jahr größer oder kleiner ausfallen werden«, sagt Cemas-Forscher Joe Düker dem »nd«. Ein Grund dafür: Die diesjährigen CSD-Veranstaltungen in den Städten mit den größten rechtsextremen Anti-CSD-Protesten 2024 erfolgen größtenteils erst in den kommenden Wochen und Monaten.
Oft bleibt es nicht bei friedlichem ProtestWas indes schon feststeht: Auch in diesem Jahr bleibt es nicht nur bei Demonstrationen. Cemas und Democ berichten von einem Angriff in Fulda: Eine Rechtsextreme versuchte eine CSD-Teilnehmende mit einer Eisenstange anzugreifen, die Polizei konnte das verhindern, in einem Gerangel verletzten sich nach behördlichen Angaben drei Beamte. In Emden (Niedersachsen) wurde einem 31-Jährigen am Rande des CSDs ins Gesicht geschlagen. In Berlin versuchten zwei Jugendliche, Teilnehmende der »Marzahn Pride« anzugreifen.
Mehrere CSDs mussten in diesem Jahr eingeschränkt oder ganz abgesagt werden – etwa in Regensburg, Gelsenkirchen und Düsseldorf. Grund waren Drohungen im Vorfeld, auf die die Polizei mit der Sorge vor möglichen Angriffen reagierte.
Nicht nur CSDs werden bedrohtAuch abseits der CSDs kam es während der Pride-Saison bundesweit zu queerfeindlicher Gewalt: Im brandenburgischen Bad Freienwalde überfielen mutmaßlich Rechtsextreme eine geplante Veranstaltung für Vielfalt und Toleranz noch vor Beginn, dabei wurden laut Polizei mindestens zwei Menschen leicht verletzt – nur durch das Eingreifen von Sicherheitskräften konnte Schlimmeres verhindert werden. In Berlin wurde die Bar Tipsy Bear mehrfach attackiert: Unbekannte rissen Regenbogenflaggen herunter, zündeten sie an und bedrohten Gäste mit einem Baseballschläger. Am selben Wochenende griff ein Mann das Café Romeo und Romeo in Berlin-Schöneberg an, beschimpfte Gäste queerfeindlich und verletzte den Betreiber mit einer Glasflasche. In Rostock störten zwei alkoholisierte Personen eine Gedenkveranstaltung für queere NS-Opfer.
Nachdem 2024 sich viele Neonazi-Gruppen wie Jung und Stark (JS), Deut- sche Jugend voran (DJV) oder Deutscher Störtrupp (DST) neu gründeten, um CSDs zu stören, beobachten Cemas und Democ dieses Jahr, dass etablierte rechtsextreme Akteure verstärkt queerfeindlich aktiv werden. Dazu gehören die Jungen Nationalisten, die Jugendorganisation der Nazi-Partei Die Heimat (ehemals NPD) und die rechtsextreme Splitterpartei Der Dritte Weg. »Offenbar wollen sich diese organisierten Rechtsextremen nun die Hoheit über «ihre» queerfeindlichen Themen zurückerobern«, heißt es in der Auswertung von Cemas und Democ. Nachdem die etablierten Akteure im Vorjahr noch von den eigenständigen Aktionen der jungen Gruppen überrascht wurden, sei nun ein Schulterschluss zwischen beiden Strömungen erkennbar. »Die diesjährigen Proteste sind organisierter«, sagt Joe Düker.
Womit ist also zu rechnen, wenn kommenden Sonntag der CSD in Bautzen stattfindet? Die Polizei rechnet mit einem ähnlich hohen Gefährdungspotenzial wie schon beim CSD 2024. Für die angekündigte Gegenkundgebung erwartet sie zwischen 300 und 700 Teilnehmer*innen.
Eine mögliche Abnahme der Proteste ist keine EntwarnungDer Rechtsextremismusforscher Joe Düker warnt davor, eine mögliche Abnahme der Proteste als Entwarnung zu verstehen. »Selbst wenn die Anti-CSD-Proteste der jungen Neonazis einen Rückgang aufweisen sollten, stellt diese Szene noch immer eine Gefahr dar – vor allem bei kleineren CSD-Veranstaltungen, wo auch eine kleine Anzahl Rechtsextremer verhältnismäßig viele sein können«, so Düker.
Ein Rückgang der sichtbaren Gegenmobilisierung bedeute zudem keine Abnahme rechtsextremer Einstellungen oder der Gewaltbereitschaft. Vielmehr könnte die frühe öffentliche Aufmerksamkeit, die Politik, Behörden und Medien in diesem Jahr auf CSDs und mögliche Störungen gelegt haben, abschreckend gewirkt haben. Doch das birgt auch neue Risiken, sagt Düker. »Es ist gut möglich, dass sich die jungen Neonazis in den kommenden Monaten stattdessen anderen Zielen zuwenden.«
nd-aktuell