Nationalismus | Bautzen: Flagge ersetzt Demokratieförderung
Im Landkreis Bautzen soll künftig vor allen öffentlichen Gebäuden permanent die Deutschlandfahne wehen. Einen entsprechenden Antrag von Landrat Udo Witschas wird der Kreistag kommende Woche behandeln. Der CDU-Politiker begründet das Vorhaben mit zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, Polarisierung und Orientierungslosigkeit. Angesichts dessen komme dem »sichtbaren Bekenntnis zu Heimat, Herkunft und gemeinsamen Werten« eine neue Bedeutung zu, heißt es in der Ratsvorlage. Vor Schulen im sorbischen Siedlungsgebiet solle neben der Bundesflagge auch die der Sorben aufgezogen werden, vor den Verwaltungsgebäuden des Kreises außerdem die von Sachsen.
Inspiriert wurde Witschas von einer Initiative, die ursprünglich von der AfD ausging. Er habe Berichte über entsprechende Beschlüsse in einem Kreistag in Sachsen-Anhalt »zum Anlass« für seine Vorlage genommen, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes der Sächsischen Zeitung. Dort hatte zunächst Ende März im Jerichower Land die CDU einem Antrag der AfD namens »Flagge zeigen!« zur Mehrheit verholfen. Darin wird die »Schicksals- und Wertegemeinschaft« der Nation als »kleinster gemeinsamer Nenner« in Krisenzeiten benannt. Die dauerhafte Beflaggung solle das Nationalgefühl wieder stärken. Die AfD im Kreis Bautzen stellte diesen Antrag wortgleich ebenfalls in der nächsten Sitzung, ebenso die AfD im Erzgebirgskreis.
In Sachsen-Anhalt beschlossen danach vier weitere Landkreise eine dauerhafte Beflaggung. Der Stadtrat Chemnitz beriet diesen Mittwoch einen entsprechenden Antrag von CDU und FDP. Die Stadtverwaltung lehnt das Ansinnen ab, weil damit nicht mehr die Besonderheit von Gedenk- und Feiertagen hervorzuheben wäre. Die rechtsextreme Vereinigung Pro Chemnitz fordert eine Regelung, die Regenbogenfahnen und Fahnen »fremder Länder« ausschließt.
Witschas geht noch über den Vorstoß der AfD hinaus. Diese will Flaggen nur dort aufziehen lassen, wo entsprechende Masten vorhanden sind. Das ist etwa im Jerichower Land nach Presseberichten nur an sechs von 23 in Frage kommenden Gebäuden der Fall, im Landkreis Bautzen bei zehn Schulen und zwei Verwaltungsgebäuden. Der Landrat beantragt in einer gegenüber der ursprünglichen Version geänderten Fassung seines Antrags, Geld für die Errichtung weiterer 37 Fahnenmasten bereitzustellen. Die Kosten werden auf 74 000 Euro beziffert. Dazu kommen gut 5000 Euro für die Anschaffung neuer Flaggen. Die Mittel sollten »durch Mehreinnahmen beziehungsweise Minderausgaben« erwirtschaftet werden.
»Das klingt nach einem Fall für das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes.«
Silvio Lang Kreischef Die Linke Bautzen
Eigentlich hat der Landkreis kein Geld und beschloss aus diesem Grund Ende Januar auch, seine Teilnahme am Bundesprogramm »Partnerschaft für Demokratie« zu beenden. Dafür hätten jährlich 50 000 Euro an Eigenmitteln aufgewendet werden müssen, um eine viermal so hohe Bundesförderung nutzen zu können. Im Förderzeitraum bis 2032 summiert sich diese auf 1,6 Millionen Euro. Das Geld ist für Vereine und Initiativen gedacht, die sich für Jugendbeteiligung und Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements engagieren. Das Netzwerk Tolerantes Sachsen hatte die Entscheidung kritisiert: »Gesellschaftlicher Zusammenhalt, demokratische Grundwerte wie Offenheit und Vielfalt sind nicht selbstverständlich« in einem Landkreis, in dem es viele rechtsextreme Aufzüge und verstärkt Übergriffe auf Sorben gebe.
Ob der Kreistag dem Ansinnen des Landrats folgt, bleibt abzuwarten. Die AfD (32 Abgeordnete) und die CDU (25) haben gemeinsam eine deutliche Mehrheit in dem 92 Sitze umfassenden Kommunalparlament. Allerdings sagte CDU-Fraktionschef Mirko Pink der »Sächsischen Zeitung«, man wolle abwarten, wie die Kosten gedeckt werden sollten. Die Linke ruft die Kreisräte der demokratischen Fraktionen zur Ablehnung der Pläne auf. Ihr Kreischef Silvio Lang sprach von teurer und überflüssiger »Symbolpolitik« und einem potenziellen Fall für das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Zudem gebe es im Freistaat eine Verwaltungsvorschrift zur Beflaggung unter anderem von Schulen, die weitreichender als Witschas’ Vorschlag sei.
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