Kommentar: Saskia Esken wurde zum Sündenbock ihrer Partei gemacht wurde – das ist hinterhältig

Man mochte sie nie so richtig – nicht in der Fraktion, nicht an der Basis, schon gar nicht in Talkshows, wenn sie mit Lederjacke und einem Paar bunter Sneakers, das sie in San Francisco gekauft hatte, emotionslos die Welt erklärte. In der SPD lästerten viele: „Wenn sie den Mund aufmacht, verliert die SPD wieder zahlreiche Mitglieder.“
Saskia Esken war keine, die mit Charisma glänzte oder gar die Herzen der Wähler im Sturm eroberte. Stattdessen wirkte sie im Gegensatz zu ihrem Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil oft wie die besserwisserische Mahnerin auf Klassenfahrt, die allen das Limo-Trinken nach 20 Uhr verbieten will – aus Prinzip, nicht aus Überzeugung. Und dann klebte sie auch noch stoisch am Parteivorsitz – wie Pattex auf Pressspan, trotzig und beratungsresistent. Nichts konnte sie davon abhalten.
Doch so fragwürdig ihre Performance auch war – was sich die SPD jetzt mit Saskia Esken leistet, ist unterste Schublade. Man macht sie im Alleingang zur Blitzableiterin und zum Sündenbock für das komplette Ampel-Versagen, als hätte sie höchstpersönlich Heizungspläne verbrochen, Haushaltslöcher gebohrt und das Migrationschaos angerichtet. Eine durchschaubare Nummer: billig, feige, typisch Hinterzimmer-SPD.
Esken ist seit der vergeigten Bundestagswahl im Februar dieses Jahres, bei der die SPD auf nur noch 16,4 Prozent kam, auf dem Weg ins politische Niemandsland. Ihre Pattex-Phase – dieses krampfhafte Festkleben an Amt und Einfluss, überhaupt das politische Überleben im Haifischbecken SPD – ist vorbei. In ihrem eigenen Landesverband Baden-Württemberg will man sie nicht mehr – nicht einmal für den Bundesvorstand. Und der eigene Vorstoß, Entwicklungshilfe-Ministerin werden zu wollen: Selbst dafür reicht’s nicht mehr. Die Partei reagiert mit genervtem Augenrollen, bestenfalls mit mitleidigem Spott. Als Nachfolgerin an der Parteispitze wird bereits Bärbel Bas gehandelt.
Klingbeil blüht auf, Esken stürzt ab: Was dahinterstecktWährenddessen blüht ihr Co-Chef Lars Klingbeil auf. Mit seinem braven Schwiegermutterlächeln und der Stimme eines Fahrstuhlradios hat er zwar denselben Wahlflop mitverantwortet – doch was soll’s? Die Partei verzeiht, ihm jedenfalls. Klingbeil wird jetzt hochgejazzt zum Vizekanzler in spe, Strippenzieher, Machtarchitekten, mehr geht nicht.
Esken dagegen ist der Sündenbock für alles. Und niemand widerspricht. Es gibt keinen Aufschrei, kein letztes Wort der Solidarität, nicht einmal ein symbolisches „Danke“. Stattdessen: eisiges Schweigen. Und wenn nur weichgespülte Kommentare: Sie verzichte auf ein Ministeramt. Ein Satz wie aus der PR-Hölle, der den Eindruck erwecken soll, hier gehe eine verdiente Genossin freiwillig zur Seite – uneitel, uneigennützig, großmütig. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Es war kein Verzicht, es war ein Abschieben. Obendrein klingen die Formulierungen wie aus einem Bewerbungsschreiben fürs Ehrenamt bei der Volkshochschule. In Wahrheit ist der Abgang eine Entmachtung mit Ansage. Und eine ziemlich feige obendrein.
Denn machen wir uns nichts vor: Esken war zwar nie Liebling der Partei, aber auch nie die Hauptverantwortliche für das Desaster der Ampelregierung. Die Linien bestimmten zur Ampel-Zeit Scholz und Klingbeil, nicht sie. Klingbeil, der kommunikativ deutlich Geschmeidigere, konnte sich zum starken Mann entwickeln – jemand, der im Hintergrund die Macht bündelt, Netzwerke pflegt, bei Scholz und jetzt auch bei dem künftigen Kanzler Friedrich Merz Gehör findet. Dass er die eigene Partei jahrelang in einer Art loyalem Wachkoma hielt, während die Regierung zwischen Ampel-Streit und Profilverlust taumelte: geschenkt. Er war immer gerade rechtzeitig im Schatten, wenn’s ungemütlich wurde – und jetzt steht er bereit fürs Rampenlicht.
Saskia Esken: Vorgeführt, fallen gelassen, ausrangiert, entsorgtDass ausgerechnet jetzt Saskia Esken zur Alleinschuldigen für das komplette Ampel-Debakel gestempelt und vom Hof gejagt wird, ist daher sehr einseitig. Ein billiges Ablenkungsmanöver. Esken wird als Bauernopfer vorgeführt, fallen gelassen, ausrangiert, entsorgt.
Selbst in der Fraktion ist wohl kein Platz mehr – die soll künftig Generalsekretär Matthias Miersch führen, ein Apparatschik aus dem Lehrbuch. Ein Funktionär mit Stallgeruch, der in puncto Unbeliebtheit Esken durchaus das Wasser reichen kann – nur dass er sich besser mit Klingbeil versteht. Und das reicht dieser Tage offenbar schon, um im Machtspiel oben zu bleiben.
Der Parteichefin bleibt damit nur noch der Abgang durch die Seitentür. Dass ausgerechnet sie, die man nie geliebt, aber stets für ihre Prinzipien gescholten hat, nun den Preis für eine Politik zahlt, die sie nie wirklich steuern konnte, ist eine bittere Fußnote in der Geschichte dieser SPD. Es hätte auch ein sauberer Abgang werden können, staatsmännisch, harmonisch, möglichst lautlos. Was Esken auf jeden Fall jetzt noch bleibt, ist ein Sitz im Bundestag.
Berliner-zeitung