Entwicklungsfinanzierung | Sevilla-Konferenz: Weit hinter den Erfordernissen zurück
»Wir leben in einer Welt, in der das Vertrauen zerbröckelt und der Multilateralismus einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt ist.« Widerspruch zu diesen Worten aus der Eröffnungsrede des UN-Generalsekretärs António Guterres dürfte es nicht geben. Zehn Jahre nach der dritten Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Addis Abeba findet in Sevilla vom 30. Juni bis 4. Juli die vierte statt. Laut Guterres sind zwei Drittel der für 2030 festgelegten Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) im Rückstand. Um sie zu erreichen, müssten jährlich mehr als vier Billionen Dollar investiert werden. Zusätzliche Mittel wurden nicht beschlossen, stattdessen am ersten Konferenztag die sogenannte Verpflichtung von Sevilla einstimmig verabschiedet, auf die man sich vorab am 17. Juni ohne die USA verständigte, nachdem sich die Trump-Administration aus dem Prozess verabschiedet hatte, weil sie ihre Positionen nicht gebührend berücksichtigt fand. Die Staatengemeinschaft verpflichtete sich damit ohne die in Sevilla abwesenden USA auf ein gemeinsames Vorgehen, um die Ziele wie die Beseitigung von extremer Armut und Hunger trotz des Spardrucks bis 2030 zu erreichen. Das Wie blieb offen.
Minimalkonsens ohne AmbitionDas Abschlussdokument ohne weitere Verhandlungen am ersten Tag zu verabschieden, hat Vor- und Nachteile, meint Klaus Schilder. Der Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor ist in Sevilla und einer der Referent*innen beim Live-Briefing »Was passiert bei der Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung?« am 1. Juli. Der Vorteil sei, angesichts der geopolitischen Spannungen überhaupt zu einer Einigung gekommen zu sein; der Nachteil sei, es gebe keine Möglichkeit mehr, durch Verhandlungsdruck für ein ambitionierteres Dokument zu sorgen, wie das auf den Vorgängerkonferenzen in Doha 2008 und Addis Abeba 2015 gelungen sei – auch durch die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen, die dieses Mal um ihre volle Mitwirkung ringen mussten. Die »Verpflichtung von Sevilla« hinterlässt bei Schilder hingegen den Eindruck eines »Minimalkonsenses«, eines Kompromisses, auch wenn die richtige Übersetzung für das spanische »Compromiso de Sevilla« richtigerweise Verpflichtung sei.
Auf dem Forum der Nichtregierungsorganisationen am vergangenen Wochenende trafen sich 1400 Vertreter*innen und äußerten laut Schilder deutliche Kritik am Abschlussdokument: Globale Krisen erfordern ambitioniertes politisches Handeln der Staaten, Prinzipien wie Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte nach vorne zu stellen, sei der Tenor gewesen und in der Erklärung der Zivilgesellschaft auf den Punkt gebracht: »Die globale Finanzarchitektur lässt die Menschen und den Planeten im Stich.«
Guterres rief dazu auf, in einer von »Ungleichheiten, Klima-Chaos und tobenden Konflikten erschütterten Welt« den »Entwicklungsmotor wieder anzuwerfen«. An der Notwendigkeit besteht kein Zweifel. 3,4 Milliarden Menschen leben in Ländern, die derzeit mehr in den Schuldendienst aus Zins und Tilgung stecken müssen, als sie in Gesundheit und Bildung investieren können, ließ die Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad in Sevilla verlauten und sprach von einer »stillen Krise«. »Angesichts der riesigen Finanzierungslücke von über vier Billionen Dollar sind die Vorschläge zur Reform der Globalen Finanzarchitektur absolut unzureichend, vor allem mit Blick auf ein Ende der Schuldenkrise im Globalen Süden«, pflichtet Schilder der Unctad bei.
Kürzungen sind global en vogueStatt als Staatengemeinschaft konzertiert die Schuldenkrise durch ein staatliches Insolvenzrecht und Schuldenstreichungen anzugehen und zudem mehr Mittel in die Entwicklungsfinanzierung zu stecken, stehen die Zeichen auf Kürzungen. Allein aufgrund der Streichungen von US-Hilfen unter der Regierung von Präsident Donald Trump könnten mehr als 14 Millionen Menschen bis 2030 laut einer Studie sterben. Davon wären auch mehr als 4,5 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren betroffen, hieß es in der am Dienstag aus Anlass der Konferenz in der Fachzeitschrift »Lancet« veröffentlichten Studie.
Nachdem die USA ihre Mittel drastisch reduziert haben, kürzten auch andere reiche Länder wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland Entwicklungsgelder zusammen. Diese Kürzungen könnten »zu noch mehr zusätzlichen Todesfällen in den kommenden Jahren« führen, sagte Ko-Autorin Caterina Monti.
Die in Sevilla weilende Bundestagsabgeordnete Charlotte Neuhäuser sekundiert Monti: »Wenn sich der Anteil am Bundeshaushalt 2025 für Bundeswehr, Raketen und Drohnen in einem Jahr von 12,4 Prozent auf 26,6 Prozent verdoppeln kann, dann ist die Rekordkürzung bei Hungerbekämpfung, Schulen und Krankenhäusern im Globalen Süden ein unmoralischer, kurzsichtiger Rückschritt«, so die Sprecherin für Globale Gerechtigkeit der Linksfraktion.
Dutzende Spitzenpolitiker und mehr als 4000 Vertreter*innen aus den Bereichen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Finanzinstitutionen haben sich nach Sevilla aufgemacht, um bis Donnerstag neue Impulse im Bereich der Entwicklungsfinanzierung zu finden. Die deutsche Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) saß wie viele Regierungschefs am Montagabend schon wieder im Flieger. In der Sevilla-Verpflichtung bekennt sich Deutschland zusammen mit den anderen Industriestaaten auch zu dem Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in öffentliche Entwicklungsausgaben zu investieren. Doch nachdem Deutschland schon 2024 das 0,7-Prozent-Ziel durch die Kürzungen der Ampel-Regierung verfehlte, hat das Kabinett in der vergangenen Woche nachgelegt: Im Haushaltsentwurf für 2025 sind 10,3 Milliarden Euro für das Entwicklungsministerium vorgesehen. Das ist fast eine Milliarde weniger als im Vorjahr. Im Auswärtigen Amt soll der Etat für humanitäre Hilfe um mehr als die Hälfte auf gut eine Milliarde Euro gekürzt werden. Deutschland befindet sich damit in schlechter Gesellschaft. Von einem ambitionierten Handeln angesichts einer globalen Krise ist nichts zu sehen – nicht in Berlin, nicht in Sevilla.
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