Else Kröner: Die bescheidene Medizinfrau

Else Kröner hat das Unternehmen Fresenius nach dem Krieg aufgebaut und eine Stiftung für Medizinforschung gegründet. An diesem Donnerstag wäre sie 100 geworden.
Im Jahr 1944 verliert Else Fernau fast alles, was ihr wichtig ist. Die Hirsch-Apotheke ihres Ziehvaters Eduard Fresenius an der Frankfurter Zeil wird von Bomben getroffen, kurz bevor die fast 19 Jahre alte Abiturientin dort ein Praktikum beginnen will. Zwei Jahre Berufserfahrung sind Pflicht, um ein Studium der Pharmazie aufzunehmen. Auch Elses Zuhause in Sachsenhausen wird durch die Luftangriffe zerstört.Ende 1944 dann erfährt Else, dass der Mann, den sie liebt, in Russland vermisst wird. Sie hat ihn in der Tanzstunde kennengelernt – und wird ihn nie wiedersehen. Kurz vorher hat sie ihm noch einen Brief ins Feld geschickt. Die junge Frau schreibt darin: „Ich will arbeiten mit dem ganzen Einsatz, dessen ich fähig bin, und will endlich sehen, wie weit ich meinen Mann stehe.“
So zitiert es die Biographie „Wer, wenn nicht wir“ der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung über die Unternehmerin und Stifterin, zu der Else in den nächsten Jahrzehnten werden wird. Im Jahr 1944 ahnt sie nicht, dass sie 20 Jahre später einen anderen Mann namens Hans Kröner heiraten wird.Genauso wenig weiß die junge Frau, dass vor ihr eine Karriere als erfolgreiche Geschäftsfrau liegt. Zusammen mit Kröner wird sie die Geschicke des Unternehmens Fresenius führen, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nur wenige Dutzend Mitarbeiter hat.
Der Name Fresenius dagegen ist Else ein Begriff, seit sie denken kann. Die junge Frau ist im Haus des Apothekers Eduard Fresenius aufgewachsen – in ebenjener Villa, auf die 1944 die Bomben fallen werden. Elses Mutter ist schon vor Elses Geburt am 15. Mai 1925, an diesem Donnerstag vor 100 Jahren, Haushälterin bei Fresenius. Familie Fernau lebt mit im Haus an der Forsthausstraße, der heutigen Kennedyallee.
Elses Vater stirbt, als sie noch klein ist. Das Ehepaar Fresenius sieht das Mädchen als Ziehtochter. Else Fresenius ist Taufpatin, und so erhält das Kind ihren Vornamen. Eduard Fresenius gibt ihr den Spitznamen „Knöpfchen“.
Nach der Zerstörung hilft Else dem Ziehvater, die Apotheke wieder aufzubauen. Auch die „Dr. Eduard Fresenius Chemisch-pharmazeutische Industrie KG“ in Bad Homburg muss sich auf dem Markt behaupten, als nach dem Krieg die Aufträge der Wehrmacht fehlen. Als Fresenius 1946 stirbt, erben Else, ihre Mutter und eine dritte Frau laut Testament die Apotheke und die Arzneifabrik in Bad Homburg. Im selben Jahr beginnt die junge Frau das Pharmaziestudium in Mainz. Bald wechselt sie nach Erlangen. „Sehnsucht nach Liebe oder nach dem Mann überhaupt“, notiert die Studentin. „Dann wieder strenge Berufsabsichten. Man ist sich selber ein Rätsel.“
Nach dem Abschluss kehrt sie 1950 nach Frankfurt zurück und macht sich daran, das Unternehmen zu konsolidieren. Zu dieser Zeit schreibt es rote Zahlen. Anfang 1952 übernimmt Else Fernau die Geschäftsführung. Sie vergrößert den Betrieb, der viele Krankenhäuser beliefert, erweitert die Produktpalette, errichtet einen Neubau. Gut zwölf Stunden soll sie oft gearbeitet haben, Mitarbeitern wird der Satz zugeschrieben: „Das Elschen ist da, es läuft.“ Betriebswirtschaft lernt sie in Abendkursen.
In jenen Jahren lernt sie den Juristen Hans Kröner kennen, zunächst als Ratgeber. Als sie einander näherkommen, beauftragt Else 1957 einen Graphologen mit einer Charakterstudie. Angeblich verrät Kröners Schrift, dass er intelligent, aufgeschlossen und aktiv ist. Die beiden heiraten aber erst 1964. Da ist Else 38 Jahre alt, Hans schon 54. Nach einigen Jahren adoptieren sie fünf Kinder aus schwierigen Verhältnissen.
Das Unternehmen wächst seit Mitte der Sechzigerjahre immens, der Umsatz steigt, auch dank Dialysegeräten. Wie schon im Krieg stellt Fresenius weiterhin auch Infusionslösungen und Mittel gegen Erkältung her. Neue Werke entstehen in St. Wendel und Schweinfurt, 1978 zieht die Zentrale nach Oberursel. Und auch das Auslandsgeschäft wird immer wichtiger.
Else Kröner bleibt bescheiden. Sie kauft Kleider im Kaufhaus und lässt Gästen Toast Hawaii servieren. Gleichzeitig steht sie unter enormem Druck – als Mutter von fünf Adoptivkindern, vor allem aber als Unternehmerin, die am Ende für rund 3000 Mitarbeiter verantwortlich ist.

Im Jahr 1988 laufen Ermittlungen gegen Verantwortliche der Fresenius AG. Es geht um Zahlungen von Mitarbeitern an Krankenhausangestellte, um Einfluss auf Aufträge zu nehmen. Gegen Geldauflagen wird das Verfahren eingestellt. Else Kröner, starke Raucherin, stirbt im selben Jahr überraschend im Alter von 63 Jahren an einem Herzinfarkt.
Fünf Jahre vorher hat sie eine Stiftung gegründet, die mit jährlich mehr als 70 Millionen Euro medizinische Forschung und humanitäre Projekte fördert. Ihr vermacht sie das Vermögen. Auch die Hirsch-Apotheke an der Zeil gehört bis heute der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung mit Sitz in Bad Homburg.
Deren Vorstandsvorsitzender Michael Madeja nennt Kröner eine eindrucksvolle, sympathische Stifterpersönlichkeit – und eine der bedeutendsten Unternehmerpersönlichkeiten der Bundesrepublik. Kröner habe stets mit Herz und Mut gehandelt. „Sie hatte das Talent, Chancen zu erkennen, und hat ihr Leben in den Dienst des Unternehmens gestellt.“
Kürzlich hat die Stiftung Else Kröners Rückzugsort im Wald bei Schmitten renoviert: das Jagdhaus von Eduard Fresenius. Demnächst sollen dort Wissenschaftler in Ruhe nachdenken, schreiben und tagen können.
Für Michael Sen, den Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Fresenius, hat Else Kröner Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Die 176.000 Mitarbeiter hätten von ihr die Aufgabe übernommen, das Weltunternehmen erfolgreich weiterzuentwickeln.
Am Donnerstagabend feiern das Unternehmen und die Stiftung Else Kröners hundertsten Geburtstag in Frankfurt. Auf dem Programm stehen die Premiere eines Films über die Unternehmerin und eine Preisverleihung: Der Else-Kröner-Fresenius-Preis ist mit 2,5 Millionen Euro die wohl höchstdotierte Auszeichnung für medizinische Forschung in der Welt. Die in Russland geborene Preisträgerin Anastasia Khvorova forscht in Amerika an RNA-Therapien. Mit dem Preisgeld will sie Moleküle entwickeln, die verhindern können, dass im Gehirn toxische Proteine produziert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung