BND | Der Journalist Peter Scholl-Latour arbeitete für Geheimdienst
Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat über Jahrzehnte hinweg Journalist*innen als Quellen genutzt – teils sogar bezahlt – und dabei auch gegen eigene Vorschriften verstoßen. Der Umfang dieser Kooperationen wurde durch den sogenannten Schäfer-Bericht im Jahr 2006 bekannt, der nach einer parlamentarischen Untersuchung durch den gleichnamigen ehemaligen Bundesrichter vorgelegt wurde.
Nun berichtet der WDR über einen weiteren spektakulären Fall: Der BND führte den einst sehr bekannten Publizisten und Auslandsreporter Peter Scholl-Latour über Jahre hinweg als sogenannte Gelegenheitsquelle. Das geht aus rund 70 Seiten Material aus dem Archiv des deutschen Auslandsgeheimdienstes hervor, die der Sender ausgewertet hat.
Eine Sprecherin des BND erklärte dem WDR, Scholl-Latour sei nie als »reguläre Quelle« des Dienstes angeworben worden und habe keinen »stetigen Auftrag zur Infomationsbeschaffung« bekommen. Dennoch war die Kooperation laut dem Bericht weitgehend: Demnach berichtete Scholl-Latour in den 80er Jahren mehrfach über seine Reisen, lieferte Hintergrundinformationen zu Gesprächspartner*innen und stellte dem Dienst vor dessen Veröffentlichung Film- und Fotomaterial aus Krisengebieten zur Verfügung.
Im Jahr 1986 wurde der Journalist, inzwischen Herausgeber des »Stern«, auch von einem BND-Mitarbeiter aus dem Bereich der DDR-Aufklärung besucht. Scholl-Latour sollte eine Person aus der DDR identifizieren, die in Afrika für das Internationale Rote Kreuz arbeitete. Er soll zudem bereit gewesen sein, bei einer Reise in den Libanon eine BND-Quelle zu treffen.
Bereits in den frühen 60er Jahren soll der BND erste Notizen zu Scholl-Latour angelegt haben. Darin habe es geheißen, dass er die französische Staatsbürgerschaft besaß und möglicherweise für den dortigen Geheimdienst tätig gewesen sein könnte. Ab 1980 zeigten die Akten dann konkrete Kontakte mit dem deutschen Dienst. Dort wurde für ihn der Codename »Scholar« verwendet, berichtet der WDR.
Nach einer Reise mit den Mudschaheddin in Afghanistan 1981 habe sich der Austausch mit dem BND intensiviert, Treffen mit Mitarbeiter*innen sollen unter anderem in seiner Wohnung erfolgt sein. Nicht alle daraus resultierenden Gesprächsnotizen des Dienstes sind freigegeben: Einzelne Seiten hält der BND mit Verweis auf Schutzfristen und das Staatswohl zurück.
In dem WDR-Bericht wird nicht deutlich, ob Scholl-Latour für seine Kooperation mit dem BND Gegenleistungen erhielt – bezahlt wurde er dem Dienst zufolge nicht. Denkbar wäre aber das Durchstechen exklusiver und geheimer Informationen, wie es heutzutage häufig gegenüber Investigativ-Ressorts großer Medienhäuser erfolgt. Ein direkter Einfluss auf seine journalistische Arbeit lässt sich aus den vorliegenden Akten allerdings nicht ableiten.
Peter Scholl-Latour, der vor seiner nachweisbaren Kooperation mit dem BND in den 70er Jahren auch Programmdirektor des WDR-Fernsehens gewesen war, starb im August 2014 im Alter von 90 Jahren. Das ZDF, für das er während der Zeit als Geheimdienstzuträger zeitweise arbeitete, erklärte auf Anfrage, keine Kenntnis von den Vorgängen zu haben und sich an die journalistischen Leitlinien sowie den Pressekodex zu halten. Dieser bestimmt, dass geheimdienstliche Tätigkeiten mit dem Berufsbild von Journalist*innen nicht vereinbar sind.
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