Berliner Migrationspolitik: Die Flüchtlingsstadt Tegel wird kleiner, der Druck auf die Kieze bleibt

Es ist ein wenig still geworden um die Taskforce für die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin. Und wenn es etwas Neues gab, stieß dies bei vielen Hauptstädtern auf wenig Akzeptanz, weil plötzlich Flüchtlinge in ihre Nachbarschaft einzogen.
Nun wartet das Gremium mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) und dem Koordinator für die Unterbringung von Flüchtlingen, Albrecht Broemme, an der Spitze und einer ganzen Reihe weiterer Senatoren hintendran mit neuen Nachrichten auf. Und auch diese werden nicht allen gefallen.

Grundlage für die neuen Beschlüsse ist das Sinken der Flüchtlingszahlen in Berlin. Deshalb soll die Flüchtlingsstadt auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel verkleinert werden.
Schon heute sind nur noch etwa 2950 Menschen in Tegel untergebracht – vor einem halben Jahr waren es noch mehr als 4000. Am Dienstag beschloss die Taskforce in einer internen Sitzung, deren Ergebnisse der Berliner Zeitung vorliegen, die Kapazität von Tegel auf 2600 Plätze zu verkleinern.
Die Einrichtung soll den Richtlinien des ab Sommer nächsten Jahren gültigen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) entsprechen. Demnach sollen alle nach Berlin verteilten Asylbewerber und Flüchtlinge innerhalb von 72 Stunden den GEAS-Screening-Prozess durchlaufen. Dazu gehören unter anderem Identifizierung sowie Gesundheits- und Sicherheitskontrollen.
Dagegen sollen auf dem anderen ehemaligen Innenstadtflughafen, Tempelhof, zusätzlich bis zu 1100 Plätze in Wohncontainern in Holzbauweise entstehen.
Berliner Flüchtlingspolitik: 1100 neue Plätze in TempelhofBislang ist die Nutzung von Tegel nur bis Ende des Jahres beschlossen. Jetzt soll aus der Notunterkunft ab dem nächsten Jahr ein Registrierzentrum für alle ankommenden Flüchtlinge werden, das fünf Jahre Bestandsgarantie erhält.
Insgesamt sehen die neuen Pläne des Senats ein generelles Umdenken bei Flüchtlingsunterkünften im Gesamten und Tegel im Speziellen vor. Nach Informationen der Berliner Zeitung soll künftig bei der Unterbringung möglichst genau in Flüchtlinge mit und ohne Bleibeperspektive unterschieden werden.

Menschen mit Bleibeperspektive – also etwa mit Aufenthaltsgenehmigung als Kriegsflüchtling aus der Ukraine oder mit Aussicht auf Asyl – sollen größtenteils in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Dazu zählen etwa die an mehreren Orten in der Stadt in Plattenbauweise errichteten oder noch entstehenden sogenannten Modularen Unterkünften (MUFs).
Ausreisepflichtige Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive – also ohne Aussicht auf Asyl oder eine andere Aufenthaltsgenehmigung – sollen auf bereits existierende Containerdörfer in der Stadt und in das umgebaute Zentrum Tegel verteilt werden.
Neu in Tegel entsteht ein Asyl-Ankunftszentrum. Die bisherige Einrichtung auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Wittenau muss wegen Sanierung für einige Jahre geschlossen werden. Ziel ist es, dass die Menschen dort nicht länger als ein paar Tage verbleiben, heißt es.
Womöglich löst sich mit der schleichenden Verkleinerung von Tegel ein dauerhaft schwelender Konflikt innerhalb der schwarz-roten Landesregierung langsam, aber sicher auf. Die Unterkunft war von Beginn der Koalition an ein Zankapfel: Die SPD um Senatorin Kiziltepe wollte die Flüchtlingsstadt mit Verweis auf die drückende Enge und eine erschwerte Integration stets verkleinern und mittelfristig schließen. Stattdessen sollten vermehrt sogenannte dezentrale Unterkünfte in der Stadt genutzt werden.
Die CDU plädierte mit Blick auf lange Zeit steigende oder zumindest stagnierende Flüchtlingszahlen für einen Ausbau Tegels. Weitere dezentrale Unterkünfte lehnte die Partei dagegen ab. Zu schlecht waren – und sind – die Erfahrungen mit großen Einheiten wie einem früheren Hotel in Hohenschönhausen, gegen die die Bevölkerung Sturm läuft, weil die umgebende Infrastruktur für so viele neue Bewohner nicht ausgerichtet ist.

Und genau bei diesem Thema könnte sich der schwarz-rote Konflikt eher noch verschärfen. Laut den Beschlüssen von Dienstag stellt das Land Berlin Geld für die Ausstattung bis zu 8700 neuer Plätze in dezentralen Einrichtungen bereit. Das bedeutet, dass bis auf Weiteres keine Unterkünfte in Wohnquartieren geschlossen werden sollen.
Noch Ende vorigen Jahres hatte CDU-Fraktionschef Dirk Stettner angesichts damals steigender Flüchtlingszahlen und wachsender Kritik aus der Stadt für eine deutliche Vergrößerung Tegels plädiert. „Bis der Bund endlich dafür gesorgt hat, dass der stetige Zustrom an Migranten endet, müssen wir die Menschen unterbringen. In Tegel gibt es schon sehr viel Platz. Es wäre wirklich kein Problem, noch 5000 Plätze draufzupacken“, sagte er.
Nun sinken die Flüchtlingszahlen, und die neue Bundesregierung unter CDU-Führung verspricht eine Reduzierung der illegalen Zuwanderung. Was nun, CDU?
Stettner erinnert in seiner Antwort auf eine Anfrage der Berliner Zeitung daran, dass durch die Verkleinerung am bisherigen Standort und einen Ausbau in Tegel-Nord die Unterbringungsqualität insgesamt erhöht werde, „was dringend notwendig“ sei. Neue, noch nicht errichtete, nicht beschlossene und nicht finanzierte weitere Standorte „werden wir aktuell nicht aufbauen“, so Stettner. Solange die Migrantenzahlen nicht signifikant sinken, würden bestehende Unterkünfte aber weiter verlängert. Der Ärger in den Kiezen bleibt also programmiert.
Und noch an anderen Stelle scheinen sich die Dinge anders zu entwickeln, als es die Berliner CDU schon einmal formuliert hat. So seien die Pläne, in Tegel ein Abschiebegewahrsam einzurichten, vom Tisch, heißt es aus der Taskforce. Die Flüchtlinge dürften Tegel während ihrer Registrierung nicht verlassen, eine formale Abschiebehaft sei das aber nicht, hieß es. Die Menschen würden nicht eingesperrt.
Berliner-zeitung