Auseinandersetzungen um das Gedenken? So werden 80 Jahre Kriegsende in Berlin begangen

Berlin steht am Beginn einer Gedenkwoche zum 80. Jahrestag der Befreiung und des Kriegsendes. Doch es wird auch eine Woche voller Auseinandersetzungen, Misstrauen, Vorwürfe und historischer Debatten sein.
Einen Vorgeschmack auf den Balanceakt und die Zerrissenheit lieferte eine Veranstaltung am vergangenen Freitag in Tempelhof, wo vor einem Wohnhaus Kränze abgelegt wurden. Es ist das Haus, in dem am 2. Mai 1945 der Kapitulationsbefehl für die Berliner Garnison unterzeichnet wurde. Sechs Tage später war der Krieg im ganzen Land offiziell beendet.
Doch nichts ist leicht in Zeiten des Angriffskrieges, den Russland seit drei Jahren gegen die Ukraine führt. Deswegen wurden nach Tempelhof anders als in Friedensjahren keine Vertreter Russlands eingeladen. Wie schwer das manchem Beteiligten fiel, zeigte sich dabei am Freitag deutlich. So sagte einer der Organisatoren des Gedenkens: „Es tut mir sehr weh, dass wir keine Vertreter der Sowjetunion oder Russlands hier begrüßen konnten.“
Berlin orientiert sich an den Empfehlungen des Auswärtigen AmtesDie Nichteinladung war ganz im Sinne des Berliner Senats, der sich bei den Feierlichkeiten zu 80 Jahren Befreiung und Kriegsende an den vielfach kritisierten Handlungsempfehlungen des Auswärtigen Amtes orientiert. Diese besagen, dass keine Vertreter Russlands und Belarus’ zu den Gedenkveranstaltungen eingeladen werden sollen. Begründung: Es sei zu befürchten, dass diese die Veranstaltungen instrumentalisieren.
Da die meisten Veranstaltungen jedoch frei zugänglich sind, sind private Besuche auch ungebetener Gäste möglich. Wie so etwas ausgehen kann, war unlängst im märkischen Seelow zu besichtigen. Dort nahm der russische Botschafter Sergej Netschajew, quasi als Privatperson, an einem Gedenken an die Schlacht auf den Seelower Höhen teil. Dabei trug der Diplomat das Sankt-Georgs-Band, ein Militärabzeichen, das in Russland auch als Zeichen der Unterstützung Putins verstanden wird, erst recht seit dem Überfall auf die Ukraine.
Prompt kritisierte der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev Netschajews Teilnahme scharf. Dass dieser dabei das Sankt-Georgs-Band getragen habe, sei „eine klare Verhöhnung der Opfer – der Opfer von vor 80 Jahren und der Opfer von heute“, sagte Makeiev.

Solche Auseinandersetzungen sind auch rund um die zahlreichen Veranstaltungen in dieser Gedenkwoche in Berlin möglich. Die zentrale Veranstaltung des Landes Berlin findet am Vormittag des 7. Mai im Roten Rathaus statt. Angekündigt sind Reden des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner und der Abgeordnetenhauspräsidentin Cornelia Seibeld (beide CDU) sowie eine Lesung der Berliner Ehrenbürgerin Margot Friedländer. Um sich nicht angreifbar zu machen, hat die Senatskanzlei keine ausländischen Vertreter eingeladen, egal welcher Nationalität. Nicht einmal Vertreter des Bundes stehen auf der Gästeliste. Ein ganz eigener Berliner Weg, wenn man so will.
Am Tag darauf, am 8. Mai, wird der Regierende Bürgermeister Vertretern von Bundestag und Bundesregierung dagegen gleich mehrfach begegnen. Am Vormittag will er bei einem Gedenkgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zugegen sein, an dem auch Vertreter der dann frisch gewählten Bundesregierung teilnehmen wollen. Anschließend will er einer Einladung der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zur Gedenkstunde in den Bundestag folgen. Die Gedenkrede wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier halten.
Zu den komplizierten Protokollthemen für ein würdevolles Gedenken in Zeiten des Krieges in Europas Osten gehören auch Antworten auf die Fragen: Wer legt wann und mit wem Kränze an welchen Ehrenmalen in Berlin ab?
Seit Beginn des Ukrainekrieges verzichtet der Berliner Senat auf Kranzniederlegungen am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Im Mai 2022 hatten letztmalig Senatsvertreter einen Kranz am Ehrenmal an der Straße des 17. Juni in Tiergarten niedergelegt – seinerzeit auf Einladung der Botschaft der Ukraine. Für Moskau, das Russland als sogenannten Fortsetzerstaat der Sowjetunion versteht, ein Affront.

In den Jahren danach legte Kai Wegner auf Wunsch der ukrainischen Botschaft zusammen mit dem Botschafter stattdessen Kränze an der Neuen Wache in Mitte ab. Das ist auch für dieses Jahr geplant.
Wegner selbst hat danach aber noch einen Kranzablage-Termin. Im Laufe des Tages ist am Sowjetischen Ehrenmal in der Schönholzer Heide in Pankow ein „stilles Gedenken“ geplant, nicht öffentlich, um nicht zu provozieren. Das dortige Ehrenmal steht nicht so im Fokus wie jene im Treptower Park oder in Tiergarten. Dabei beherbergt es den mit rund 13.000 sowjetischen Toten größten Friedhof dieser Art in Berlin.
Dennoch richten sich vor allem am 9. Mai, dem Tag, an dem in Russland der Sieg über Nazideutschland gefeiert wird, alle Blicke nach Treptow. In den vergangenen Jahren hatte Botschafter Netschajew dort wie auch in Tiergarten Kränze niedergelegt.
Der Treptower Park ist wie jedes Jahr auch erklärtes Ziel des russischen Motorradklubs Nachtwölfe. Noch ist aber offen, ob Putins Propaganda-Biker überhaupt in die EU einreisen können. Und erst ganz am Ende wird sich zeigen, ob das Flaggenverbot, das der Berliner Senat erneut erlassen hat, eingehalten wurde.
So oder so wird die Atmosphäre völlig anders sein als noch bei den letzten großen Berliner Gedenkfeierlichkeiten zum Kriegsende vor zehn Jahren. Für den damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) war es „ein Fest unter Freunden“. Doch auch damals schon waren die Bilder aus Treptow bizarr: Zahlreiche sowjetische Uniformen waren zu sehen, jede Menge Fahnen, Putin auf T-Shirts und nationalistische Rocker, die vom Publikum gefeiert wurden.
Berliner-zeitung