Katzenkaffee

Ich war ein paar Tage in Tunis, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, es diesmal zu lassen, ist es wieder passiert: Ich habe Straßenkatzen gefüttert. Es begann harmlos mit etwas Schawarma vom Teller, aber schon am zweiten Tag kaufte ich richtiges Katzenfutter, das ich fortan großzügig in den Gassen der Medina ver-teilte. Das Ganze ist eine Mischung aus Hobby und Zwang. Sobald ich die gnadenlos regulierte westliche Welt verlasse, kribbelt es in meinen Fingern, und wenn Sie glauben, ich sei stolz darauf, täuschen Sie sich: Ich weiß sehr wohl, dass mein Verhalten mindestens sonderbar, eher pathologisch ist. Ich ahne, dass es dabei nicht nur um die Katzen geht, sondern auch darum, mich ohne großen Aufwand moralisch gut zu fühlen, ganz sicher kommt eine problematische Entfremdung von der Natur dazu, ein narzisstischer Kick beim Anblick genüsslich fressender Tiere. Aber sobald ich sehe, wie dankbar die abgemagerten und teils ramponierten Kätzchen über das Futter herfallen, ist mir das egal, und ich bin sicher: ihnen auch.
Kennen Sie den Film Die Verurteilten mit Tim Robbins und Morgan Freeman? Er handelt von einem Gefängnisausbruch, für den Andy (Tim Robbins) mit einem winzigen Geologenhammer einen Fluchttunnel gräbt und den anfallenden Schutt auf Hofspaziergängen beiläufig aus der Hosentasche rieseln lässt – 19 Jahre lang. Ich mache es nicht ganz so raffiniert, aber ähnlich. Mal lasse ich im Gehen etwas Futter fallen, mal tue ich so, als würde ich eine Münze vom Boden aufheben. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Menschen mich beobachten. Die Reaktionen sind verschieden: Manche schauen irritiert, andere lächeln und winken mir aufmunternd zu.
An meinem letzten Tag machte ich einen langen Spaziergang stadtauswärts, irgendwann wurden die Straßen breiter und die Menschen weniger, Gewerbe-Immobilien, Mittelklassehotels, Autobahnzubringer. Dann endlich: drei schiefe Sonnenschirme, ein paar Plastikstühle, ein Café samt verschmierter Vitrine, in dem mehrere Männer saßen, schweigend, in makelloser Stille. Ich lehnte mich an den Tresen, aber der Typ dahinter schenkte mir keine Beachtung. Er verhielt sich, als wäre ich nicht da, dabei stand ich direkt vor ihm. Ich wurde unsicher. Hatte ich etwas falsch gemacht? War ich nicht willkommen? Auf meine Frage, ob ich einen Kaffee haben könne, machte er zwar einen, aber als ich meine Hand danach ausstreckte, wies er mich darauf hin, dass dies nicht mein Kaffee sei. Jetzt war ich richtig verunsichert, aber aufgeben wollte ich auch nicht. Ich fragte noch einmal, und diesmal klappte es, eine Minute später stand ein Gläschen mit einer dampfenden pechschwarzen Brühe vor mir, einer Art Espresso. Ich kramte zwei Dinare (ca. 60 Cent) aus der Hosentasche, er nickte, steckte die Münzen ein, ließ mich stehen.
Ich setzte mich ins Freie und nippte minutenlang an dem viel zu starken Kaffee, als ich ein bemitleidenswert zerzaustes Kätzchen entdeckte, eingerollt auf einem der Plastikstühle. Ich kniete mich daneben, streichelte es, fütterte es, redete ihm zu, seine Augen waren verquollen, seine Ohren eingerissen. Irgendwann riss ich mich los und war bereits zwanzig, dreißig Meter entfernt, als mir der Barmann hinterhergerannt kam, ich bekäme noch Geld, 300 Millimes (ca. neun Cent), ob ich ihm rausgeben könne, aber noch ehe ich antworten konnte, lief er an mir vorbei zu einem Blumenhändler die Straße runter, wechselte Geld, machte kehrt und drückte mir keuchend ein paar Münzen in die Hand. Hatte er mich beobachtet? Hat ihn mein Verhalten gerührt? Oder hätte er mir das Geld sowieso gegeben? Keine Ahnung, aber den Moment, in dem wir uns für eine halbe Sekunde in die Augen schauten, werde ich nie vergessen.
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