Darf ich die Nacktbilder meiner verstorbenen Frau noch genießen?

»Vor sieben Jahren starb meine Frau mit 38 Jahren an einem Tumor. Unsere Beziehung war sehr innig. Auch wenn das nach Klischee klingt – sie besaß einen wunderbaren Körper. Wir hatten Freude am Sex. Irgendwann fing ich an, sie nackt zu fotografieren und zu filmen. Keine peinlichen oder pornografischen Aufnahmen, aber sie zeigten alles von ihr. Alle Aufnahmen ruhen seit Jahren auf meinem PC. Vor einigen Wochen geriet ich zufällig in dieses Verzeichnis. Es versetzte mir zunächst einen Schock. Seitdem treibt mich eine starke Sehnsucht um, ihren Körper zu betrachten. Ich frage mich: Darf ich so mit ihr umgehen, habe ich den Anstand verloren, wenn ich die Aufnahmen betrachte? Darf ich diese genießen oder muss ich mich schämen?« Anonym, per Mail
Ihre Frage rührt mich sehr. Dass Sie sich überhaupt hierher wenden, sich selbst diese Frage stellen, aus der nichts als Liebe spricht. Sie möchten also wissen, ob Sie Ihrem Verlangen nachgeben dürfen, den schönen nackten Körper Ihrer viel zu früh verstorbenen Frau zu betrachten, mehr noch: ob Sie sich dieser Tätigkeit mit Genuss hingeben können – oder ob das schlechte Gewissen, das Ihnen hier hineinfunkt, begründet ist und ein solches Unterfangen pietätlos und unangebracht wäre.
Es ist mir fast unangenehm, mich hier einzumischen, weil das so privat ist und doch in Wahrheit nur Sie und Ihre Frau, Ihre verstorbene Frau, etwas angeht. Aber da Sie ja einen Rat einfordern, kann ich Ihnen nur sagen, dass nichts, wirklich nichts dagegenspricht, wenn Sie sich auch heute noch an diesen Aufnahmen Ihrer Frau aus glücklichen Zeiten erfreuen. Glauben Sie denn, die hätte etwas dagegen, dass Sie sie als lebendigen Menschen in Erinnerung behalten, mit dem Körper, den sie hatte und den Sie liebten, statt sie sich nur noch tot vorzustellen und mit schweren Gefühlen an sie zu denken? Offenbar war Ihre Verbindung ja (auch) eine sehr körperliche, und Sie beide lebten miteinander eine absolut positive Sexualität. Das ist doch etwas Wunderschönes, wovon viele andere nur träumen, vergessen Sie bitte jedes diesbezüglich sich nun posthum hineinmischende Gefühl von Schuld oder Scham.
Ich glaube, Sie halten das Andenken Ihrer Frau und Ihre gemeinsame Liebe in allen Ehren, wenn Sie in ihr weiter den Menschen sehen, den Sie liebten und begehrten, mit dem Sie so viel Spaß hatten und den Sie nicht vollends mit Trauer überschreiben und damit irgendwie auslöschen sollten. Es ist sehr traurig, dass sie so früh gestorben ist. Aber wie schön, dass Sie so sinnlich in Ihnen weiterlebt. Das ist ein großes Geschenk. Geben Sie das nicht auf.
süeddeutsche