Neues Album von Till Brönner: Jazz-Musiker lässt Italien hochleben

Hallo Till Brönner, Sie haben ein Album voller italienischer Musik aufgenommen. War das etwas Langgehegtes?
Aus einer Laune heraus macht man das dieser Tage, auch weil sich das Geschäft dramatisch verändert, tunlichst nicht. Es ist tatsächlich eine Option, die ich schon viele Jahre im Hinterkopf hatte. Auch aus meiner Biografie heraus: Ich habe ja frühe Kindheitsjahre in Rom verbracht, und das war nicht die schlechteste Zeit. Jazz ist eine Sprache. Jeder kann sie lernen und jeder kann sie mit seinem Akzent sprechen.
Italien ist nicht das Jazzland, das einem nach Amerika sofort einfällt.
Die Einwanderer nach Amerika waren in der Hauptsache Deutsche, aber Italiener und Iren kamen mengenmäßig gleich danach. Der europäische Einfluss auf das, was zu Jazz wurde, ist somit nicht zu unterschätzen und wird hierzulande noch immer zu wenig gewürdigt. Südeuropa und insbesondere Osteuropa haben für den Jazz eine wichtige Bedeutung.
Jazz ist die Musik aller Herren Länder.
Ich sage, Jazz ist trotz seiner unzweifelhaft amerikanischen Geschichte eine Sprache. Die Italiener haben sich immer schon mit einer großen Selbstverständlichkeit Jazz als Vehikel unter den Nagel gerissen, um am Ende ihre eigene Version anhand des eigenen Songmaterials zu entwickeln. Das konnten sie viel ungezwungener als wir in Deutschland. Albert Mangelsdorff erzählte mir einmal, wie sehr er darunter gelitten habe, dass er im Krieg nicht spielen konnte, weil die Nazis Jazz verboten hatten. Nach dem Krieg konnte er auch nicht genug spielen, denn die Überpräsenz amerikanischer Musiker wies ihm Grenzen auf. Über diesem Frust hat er unter anderem seine sehr freie Art des Posaunenspiels entwickelt. In Italien wirkte das Erbe des Zweiten Weltkrieges in dieser Hinsicht weniger nach.
Ihr Album enthält bekannte Italo-Popsongs wie „Quando Quando Quando“ oder Minas „Parole Parole“. Aber es ist kein jazziger Gassenhauer-Reigen von „Marina“ über „Azzurro“ bis „Ti Amo“.
Ich hatte das große Glück, dass ich im Vorfeld der Produktion zu „Italia“ im Januar 2024 einen Italienabend mit der Big Band des Hessischen Rundfunks machen konnte. Da haben wir all diese Gassenhauer gespielt – auch „Marina“ – und stellten fest, dass man mit so einer Vielzahl begabter Musiker auf der Bühne zwar wilde Exkursionen unternehmen kann, die DNA eines Songs wie „Marina“ aber ins Absurde getrieben wird. Ein hochwillkommenes Bühnenexperiment, heilsam in gewisser Weise. Für ein Till-Brönner-Album, das Ernsthaftigkeit und Zeitlosigkeit sucht, kamen die Gassenhauer in der Folge nicht mehr infrage.
Sie haben auch Filmmusik-Ausgrabungen auf „Italia“. Lina Wertmüllers „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“ von 1974 ist inzwischen von der Zeit verschluckt, der Film „Dirty Gang“, zu dem Franco Micalizzi die Musik schrieb, ist kaum auffindbar. Sollte der Hörer auch Unbekanntes kennenlernen?
Nein, es gab keinen erhobenen Zeigefinger. Mir war aber aus großem Respekt vor dem Musikschaffen Italiens wichtig, dass ich nicht nur meine deutsche Sicht darauf einbringe, sondern mit dem Produzent Nicola Conte eine Selbstsicht der Italiener auf ihr Werk bekomme, eine Einordnung. Diejenigen, die in Italien über Jahrzehnte auf Händen getragen werden, sind oft andere Namen als die bei uns bekannten – die Filmkomponisten Piero Piccioni und Micalizzi etwa. Und es ist schön, einen großartigen Ennio-Morricone-Song wie „La Donna Invisibile“ auszugraben, der damals nicht um die Welt ging.
Ihre Stimme auf drei Songs von „Italia“ ist rau, sehnsuchtsvoll. Sie singen das alles italianissimo. Warum Gäste am Mikrofon?
Dann wäre es das Album eines Sängers gewesen, der auch Trompete spielt. Und tatsächlich ist es ja andersherum.
Italien ist das deutsche Sehnsuchtsland seit Goethe hier vor fast 240 Jahren seine künstlerische Wiedergeburt erfahren hatte. Wollten Sie auch an diese Zwei-Länder-Verbundenheit anknüpfen?
Ganz sicher. Ich bin ja selbst Kind beider Sphären. Ich habe als kleines Kind mit meinen Eltern Deutschland verlassen und in Italien überhaupt erst laufen und sprechen gelernt. Ich empfinde gegenüber diesem Land, in dem sich so viele Konstanten nie verändert haben, Dankbarkeit.
Was ist besonders für Sie?
Die Familie ist ganz hoch angeschrieben, Kinder stehen im Mittelpunkt, man bleibt katholisch. Die Italiener erleben wirtschaftliche Rückschläge und verzagen nicht. Italiener haben unser Land mitaufgebaut und ohne den kleinen Italiener in mir wäre ich wohl nicht ganz vollständig.
Till Brönner wurde 1971 in Viersen im Westen von Nordrhein-Westfalen geboren und verbrachte fünf Kindheitsjahre in Rom, weil seine Eltern dort an der Deutschen Schule Lehraufträge übernahmen. Sein Talent fiel bei diversen Schulorchestern auf. Nach dem Abitur (1990) studierte er Jazztrompete an der Kölner Hochschule für Musik. 1994 erschien sein erstes Soloalbum „Generations of Jazz“.
Seither ist der Trompeter und Flügelhornist zum wohl bekanntesten Jazzmusiker Deutschlands aufgestiegen. Er komponiert auch, ist seit 2009 Professor für Jazztrompete an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Seine Musik ist oft smooth und elegant, sein Trompetenspiel gleicht Brisen und dennoch kann Brönner auch heftig, wie Alben wie „Night Fall“ mit dem Kontrabassisten Dieter Ilg und „Baby’s Party“ (beide 2018) mit dem Schlagzeuger und Perkussionisten Günter „Baby“ Sommer zeigen. Seiner Italienliebe ging Till Brönner schon 2024 nach, als er das Kochbuch „Ciao, Italia!“ mit seinen italienischen Lieblingsrezepten veröffentlichte. Nach dem Album „Italia“ könnte eine Römische Trilogie daraus werden, denn – so verriet der Fotograf Brönner im Interview – „arbeiten wir in Italien an einem fotografischen Thema“.Was ist italienisch an Ihnen?
Man kann Herzlichkeit und eine Form der Verbindlichkeit in Italien gar nicht ignorieren. Die Anerkennung für andere, die Würde, das Traditionsbewusstein, die Bescheidenheit, das Lebensgefühl, diese Mischung aus Eleganz und „semplicità“ – Leichtigkeit. Das trage ich seit jeher als Leitfaden im Herzen.
Deutsch sind Fleiß und Disziplin.
(lacht) Natürlich. Aber auch Mäkelei. Wenn man in Deutschland mit einer Idee auf den Tisch kommt, wissen zehn Leute, warum das nicht klappen wird. Anderswo findet die Mehrheit die Idee gut, es gibt nur zwei Bedenkenträger.
Die erste Single von „Italia“ kennt jedes Kind der 70er-Jahre. „Viva La Felicità“ (Hoch lebe das Glück!) aus der Zeichentrickserie „Herr Rossi sucht das Glück“. Eine Fee ermöglicht darin dem Helden die Suche nach dem Glück durch alle Zeiten. Das Glück findet er aus gutem Grund nie. Ist Herr Rossi eine Ihrer Kindheitserinnerungen?
Ich habe von Signore Rossi tatsächlich erst zurück in Deutschland Notiz genommen. Da war eine tiefe und generationsübergreifende Poesie in diesem Cartoon, auch Philosophie – brauchbar für den Rest des Lebens. Da zieht ein kleiner Mann aus, das Glück zu finden, und entdeckt spät, dass er es eigentlich schon immer hatte. Das hat etwas Universelles, das mag ich.
Im faschistischen Italien sah man den Jazz als „Produkt der Barbarei, des Opiums und des Kokains“. Der italienische Jazzer und Cantautore Paolo Conte sagte später: „Für mich ist Jazz das Gegenteil des Faschismus.“ Ist Jazz das auch für sie? Musik der Freiheit, demokratische Musik?
Uneingeschränkt ja. Denn diese Musik lebt von Offenheit und Dialogbereitschaft. Überhaupt halte ich die Musik für den größten Einer auf der Welt. Kommt die Musik in die Hallen, merken Menschen, was sie verbindet und vergessen, was sie trennt. Bestes Beispiel ist das 1999 gegründete West-Eastern Divan Orchestra von Daniel Barenboim, das aus palästinensischen und israelischen Musikern besteht. Musik kann natürlich keine Kriege befrieden, aber sie kann nach dem Ende von Kriegen anfangen, Brücken zu bauen.
Bundeskanzler Friedrich Merz ist Jazzfan, hat jüngst auf Instagram gesagt: „Till Brönner ist einer meiner größten Stars, mit dem ich auch befreundet bin.“ Wie kam es zu dieser Freundschaft?
Diese Freundschaft geht vor die Zeit zurück, als er Kanzlerkandidat war. Wir haben einige gemeinsame Freunde aus dem Bereich der Bildenden Kunst, schätzen beide Fotografie. Das verbindet einmal mehr. Ich bin naturgemäß öfter gefragt worden, bei politischen Anlässen oder Feierstunden zu musizieren. Ob beim Bundespräsidenten oder einem Staatsbesuch – das kennen auch andere Künstler. Wer sein Land mag, freut sich über diese Gelegenheiten, etwas zurückzugeben.
Till Brönner
über seine Freundschaft mit dem Bundeskanzler
Wie sieht diese Freundschaft mit Herrn Merz aus? Trifft man sich zum Essen und Plaudern?
Das ist keine Frage der Quantität. Sich oft zu treffen ist aufgrund unserer Berufe und der Kalender auch gar nicht möglich. Aber es ist schön, dass man sich spontan verabreden kann – auch der Bundeskanzler hat ein Privatleben. Und letztlich ist die Musik auch ein wunderbares Feld, um über etwas jenseits der Politik sprechen zu können.
Spricht man aber auch über Politik?
(lacht) Wenn ich Fragen habe, werden die auch beantwortet. So viel kann ich sagen – ich möchte derzeit nicht in den Schuhen eines Spitzenpolitikers stecken.
Könnten Sie sich später mal einen gemeinsamen Podcast über Jazz und Persönliches mit Friedrich Merz vorstellen – à la Bruce Springsteen und Barack Obama?
Warum nicht? Ich glaube, dass er für so etwas sehr offen wäre.
Für Obama haben Sie schon im Weißen Haus gejazzt und neulich für Emmanuel Macron gespielt. Würden Sie auch für die postfaschistische italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spielen?
Die Frage stellt sich mir nicht wirklich. Für politische Zwecke habe ich mich noch nie einspannen lassen. Ich bin kein Parteimitglied, habe klassische Wahlkampfangebote immer abgelehnt. Ich spiele bei Anlässen, die der Verständigung und Diplomatie dienen, naturgemäß vor gewählten politischen Repräsentanten anderer Länder. Bei Barack Obama war es einer der schönsten Anlässe. Er hatte sich den International Jazzday der Unesco aus Liebe zum Jazz ins Weiße Haus geholt. Sehr authentisch. Bei Macron und Merz treffen sich engste Partnerländer in Zeiten großer Herausforderungen. Das darf nicht abreißen.
Meloni?
Hildegard Knef hat mal einen schönen Song mit der Zeile geschrieben: „Dass es gut war, wie es war, / das weiß man hinterher / Dass es schlecht ist, wie es ist / das weiß man gleich.“ Nicht jede Katastrophe entpuppt sich später auch als eine. Man wird mich bei passenden Anlässen weiter auf der Bühne sehen, nie aber zu politischer Vereinnahmung.
„Italia“ beginnt mit dem Stück „Estate“ (Sommer) und klingt auch – funky und mit Bossa-Nova-Rhythmen – nach Sommer. Hört man es am besten auf der Terrasse zu einer frischen Pasta?
Dazu vielleicht noch ein Rotwein (lacht). „Italia” ist ein Genussalbum – ein sehr dynamisches dazu. Und zudem ist es ein Plädoyer für handgemachte Musik.
Es wird vielen gefallen, manche Kritiker werden es „gefällig“ nennen. Stört Sie das?
Warum sollte es? Keinem kann man vorschreiben, wie er meine Musik zu empfinden hat. Es gibt unter meinen mehr als 20 Alben auch solche, wo ich mich in den freien Fall begebe, über die wenig berichtet wurde. Wer sagt, „der Brönner kann dies und das nicht“, der darf das auch. Ich bin mit mir im Reinen: Was immer ich veröffentliche, bin ich – zu 100 Prozent.
Till Brönner – „Italia“ (ear-Music) erscheint am 5. September digital, auf Vinyl und CD
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