Dieser Amour fou mit raschem Verfallsdatum entsprangen unvergängliche Meisterwerke


© Fondation Oskar Kokoschka / ProLitteris, Zürich, 2025
Was die Trias «Geliebte, Muse, Modell» angeht, kann die Kunstgeschichte mit einigen schillernden Konstellationen aufwarten. Auguste Rodin und Camille Claudel, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Pablo Picasso und Dora Maar – sie und andere illustre Paare verkörpern den Bund von Leben und Kunst. Doch schwerlich wird man eine Beziehung finden, die so intensiv, künstlerisch ertragreich und zugleich von Widersprüchen geprägt war wie die Liaison zwischen Oskar Kokoschka und Alma Mahler.
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Der expressionistische Künstler (1886–1980), der mit seinem 1909 aufgeführten Skandal-Drama «Mörder, Hoffnung der Frauen» über Nacht als Enfant terrible Berühmtheit erlangt hatte, und die sieben Jahre ältere Witwe des Komponisten Gustav Mahler lernten sich 1912 in Wien kennen. Die Erstbegegnung mit der von Männern umschwärmten Schönheit Alma Mahler (1879–1964), die Kokoschka noch am selben Abend zeichnete, schlug wie ein Blitz in sein ohnehin konstant unter Strom stehendes psychisches Gehäuse ein. Er liebte sie «wie ein Heide, der zu seinem Stern betet».
Alma Mahler urteilte aus der Rückschau: «Niemals zuvor habe ich so viel Krampf, so viel Hölle, so viel Paradies gekostet.» Selbst seinen künstlerischen Erfolg knüpfte Oskar Kokoschka daran, dass die obsessiv Begehrte sich dauerhaft mit ihm verband: «Ich muss dich bald zur Frau haben, sonst geht meine grosse Begabung elend zu Grunde.»
Eine Prognose, die sich als falsch erwies: Alma Mahler, von dem jungen, krankhaft eifersüchtigen Wilden gleichermassen fasziniert wie schockiert, gab seinem ungestümen Brautwerben nicht nach. Sie widerstand dem Kinderwunsch Kokoschkas – ein Kind liess sie abtreiben, ein anderes verlor sie bei einer Reise. Und nach drei Jahren zog sie einen Schlussstrich unter die allzu turbulente Affäre. Gleichwohl entfaltete sich Kokoschkas Begabung über Jahrzehnte aufs Eindrucksvollste. 1980 starb der dreifache Documenta-Teilnehmer im schweizerischen Montreux.
In zehn Gemälden, zahlreichen Zeichnungen und Grafiken, sieben als Geschenk an Alma übereigneten Fächern – «Liebes-Briefe in Bildsprache», so Kokoschka – und einer Puppe hat er diese Amour fou zum Gegenstand eines grandiosen künstlerischen Liebestaumels gemacht. Diesem widmet das Museum Folkwang in Essen nun eine eigene Ausstellung.
Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie / Foto: André van Linn © Fondation Oskar Kokoschka / ProLitteris, Zürich, 2025
Eingebunden ist sie in das Festival «Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne». Daran beteiligen sich sechs Kulturinstitutionen der Stadt an der Ruhr. Bis zum 22. Juni bieten sie ein dicht bestücktes Programm: Konzerte, Performances, tänzerische Darbietungen, Gespräche, Vorträge und Aufführungen gehören dazu.
Besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf das musikalische Schaffen der vielseitigen Alma Mahler – ein Aspekt, der im Vergleich zu ihren Paraderollen als Salondame, Femme fatale und Muse von VIPs der Musik-, Kunst- und Literaturszene bislang wenig Beachtung fand. In der Tat hat die begabte Pianistin eifrig komponiert – jedenfalls vor ihrer Ehe mit dem 19 Jahre älteren Gustav Mahler, die 1902 geschlossen wurde.
Hier kommt das viel zitierte «Komponierverbot» ins Spiel, das de facto gar kein Verbot war. Vielmehr legte Gustav Mahler (1860–1911) im Vorfeld der Ehe die Karten auf den Tisch, als er unverblümt fragte: «. . . glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten zu müssen, wenn Du Deine Musik ganz aufgibst, um die Meine zu besitzen . . . ?» Ihre Antwort fiel klar aus – zuungunsten des Komponierens: «Mein einziger Wunsch ist der, ihn glücklich zu machen», schrieb die willig Entsagende. Frauen, glaubte sie ohnehin, darin ganz im Zeitgeist verfangen, könnten auf dem Gebiet der Musik nichts leisten, «weil sie zu wenig geistige Tiefe und philosophische Bildung haben».
Wenig überraschend, dass auch Gustav Mahler selbst, Koryphäe der Spätromantik und erster von drei Ehemännern Almas, beim «Doppelbildnisse»-Festival einen zentralen Stellenwert einnimmt. Immerhin dirigierte er selbst im Essener Saalbau 1906 die Uraufführung seiner 6. Symphonie.
Museum Folkwang, Essen © Fondation Oskar Kokoschka / ProLitteris, Zürich, 2025
Die Ausstellung im Museum Folkwang gruppiert sich rund um das hauseigene «Doppelbildnis Oskar Kokoschka und Alma Mahler» von 1912. Etwa dreissig Leihgaben sind zu sehen. Ohnehin ist die Geschichte des Museums mit dem prominenten Paar eng verknüpft: Bereits 1910 präsentierte der Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus Werke von Kokoschka in seinem Museum in Hagen (1922 wurde dessen Sitz nach Essen verlegt). Das erste Porträt, das dieser von Alma Mahler schuf, gelangte 1916 gemeinsam mit einer Reihe von Zeichnungen als ihre Schenkung an das Museum – weil sie den Bauhaus-Gründer Walter Gropius heiratete, schien es ihr opportun, diese Relikte einer vergangenen Leidenschaft ausser Haus zu schaffen.
Als die Ehe mit Gropius schon vier Jahre später zerbrach, erbat sie das Bild jedoch prompt von Osthaus zurück. Dem Wunsch wurde stattgegeben. Das Porträt, das Alma Mahler in Mona-Lisa-Pose und mädchenhaftem Botticelli-Look verklärt, begleitete die Dargestellte 1940 ins amerikanische Exil. Als Leihgabe des National Museum of Modern Art Tokyo ist es nun auf Zeit nach Essen zurückgekehrt.
Hauptwerke der LiebesgeschichteAus konservatorischen Gründen vom Leihverkehr generell ausgeschlossen sind dagegen zwei auf 1913 datierte Hauptwerke ihrer Liebesgeschichte – und des Expressionismus: zum einen das tänzerisch beschwingte «Doppelakt: Liebespaar» aus dem Museum of Fine Arts Boston; zum anderen «Die Windsbraut», heute im Kunstmuseum Basel. Der Ausdruck «Meer der Leidenschaft» wird meist klischeehaft verwendet – als Charakterisierung dieser nächtlichen Landschaft in der Bucht von Neapel ist er tatsächlich angebracht. Der Künstler und die schlafende, vertrauensvoll an ihn geschmiegte Alma bilden den scheinbaren Ruhepol einer stürmischen Kulisse, mit der Kokoschka seinem aufgewühlten Gefühlsleben Ausdruck verlieh.
«Die Windsbraut» hatte Kokoschka 1914 zur Ansicht nach Hagen geschickt, um das Bild Osthaus zum Kauf anzubieten. Er entschied sich gegen den Erwerb. Wohl der einzige kapitale Fehler, den er als Sammler gemacht hat. In Essen trösten zwei Werke mit dem Windsbraut-Motiv (eine Zeichnung aus der Albertina und einer der Fächer) über diese Lücke hinweg. Im selben nachtschwarzen Duktus gehalten ist das kurz darauf entstandene «Stillleben mit Putto und Kaninchen», das aus dem Kunsthaus Zürich den Weg ins Museum Folkwang gefunden hat.
Eine gemalte Verlustanzeige: Auf die Abtreibung verweist das «traurige Kind» (Kokoschka) am linken Bildrand. Das im Zentrum wiedergegebene Kaninchen, ein traditionelles Fruchtbarkeitssymbol, ist verängstigt in sich gekauert. Darunter die Geliebte, als Katze erotisiert und dämonisiert. Sie wendet sich ab vom gemeinsamen Kind, scheinbar auf dem Sprung in ein Leben, in dem für Kokoschkas Hoffnung auf eine Familie kein Platz mehr ist.
Privatsammlung, Courtesy Leopold Fine Arts © Fondation Oskar Kokoschka / ProLitteris, Zürich, 2025
1915 war die intime Verbindung gelöst worden – doch sie hatte ein künstlerisches Nachspiel, das noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als jene Werke, die Oskar Kokoschka im Liebesrausch schuf. Nachdem er sich in den Kriegsdienst geflüchtet hatte und schwer verletzt nach Dresden gegangen war (an der dortigen Kunstakademie übernahm er 1919 eine Professur), gab er 1918 eine lebensgrosse Puppe von Alma in Auftrag. Als Bauanleitung schickte er der Münchner Puppenmacherin Hermine Moos zwölf Briefe und eine gemalte Vorlage: Der deftige «Stehende weibliche Akt» ist ebenso Teil der Folkwang-Ausstellung wie zeitgenössische Puppen-Paraphrasen des Schweizer Künstlers Denis Savary.
Das Ergebnis löste herbe Enttäuschung aus: «Die äussere Hülle ist ein Eisbärenfell, das für eine Nachahmung eines zottigen Bettvorlegerbären geeignet wäre», schrieb Kokoschka, der den Dummy seiner erkalteten Gefühle 1922 bei einem nächtlichen Fest mit Rotwein übergossen und geköpft haben will. Gleichwohl diente ihm die missratene Puppe 1919 als Modell für seine hinreissend gemalte «Frau in Blau», die aus der Staatsgalerie Stuttgart nach Essen gekommen ist.
Gegen die herkömmliche – und naheliegende – Deutung der Puppe als sexuell aufgeladener Fetisch, wenn nicht gar als Sexspielzeug, bringen Bernadette Reinhold und Bernd W. Rieger im Begleitheft zur Ausstellung gute Argumente in Stellung. De facto hatte Alma Mahler 1918 ihre magische Anziehungskraft auf den Künstler längst eingebüsst. Die Produktion der Puppe zeuge eher «von einer zielgerichteten künstlerischen Selbstinszenierung als von einer nicht enden wollenden Obsession mit Alma Mahler», heisst es im Katalog. Sex sells – die Redewendung aus der Werbung hat Oskar Kokoschka schon früh zu seiner Maxime gemacht, um seine Kunst ins Gespräch zu bringen.
«Frau in Blau – Oskar Kokoschka und Alma Mahler», Museum Folkwang, Essen, bis 22. Juni. Begleitet wird die Ausstellung durch die Publikation «Sammlungsgeschichten V: Doppelbildnis Oskar Kokoschka und Alma Mahler». Informationen zum Festival «Doppelbildnisse»: www.doppelbildnisse.de.
nzz.ch