Berliner «Tatort» liefert einen schönen Beitrag zur «Stadtbild»-Debatte

Der Mord an einem Fahrradkurier führt die Ermittler Karow und Bonard in den Hochsicherheitstrakt der Bundesdruckerei. Die neue «Tatort»-Folge verschränkt gekonnt das Thema Migration mit der Frage, ob es im digitalen Zeitalter die absolute Sicherheit geben kann – samt spannendem Showdown.

Mögen auch Podcasts und Zeitungsartikel seit geraumer Zeit davon handeln, wie die deutsche Hauptstadt bezüglich Vermüllung und Kriminalstatistiken einen Schandfleck fürs ganze Land bedeutet. Der «Tatort» rückt diese Sichtweise in düsterer Schönheit ein bisschen zurecht: Der Berlin-Krimi war schon immer die Trash-Fashion-Ausgabe des Sonntagabendfernsehens.
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Die Berliner Kulisse hat im Nebeneinander von deutsch-deutscher Vergangenheit und neuen Metropolenträumen eine spezielle Tiefenschärfe; Penner, Hipster und Durchgeknallte bilden das bevorzugte Personal für sozialen Gesprächsstoff inmitten von urbanem Wandel. Und selbst wenn sich die Kamera einem Fahrradkurier eine knappe Minute an die Fersen heftet wie hier zum Auftakt, durchmisst das die deutsche Geschichte via DDR-Fernsehturm, renovierte Backsteinbauten aus der Gründerzeit, Brachflächen und unterkühlte Glasfassaden.
«Erika Mustermann»Bewegende Bilder, das Leben ist kurz, einer rast durch die Strassen, zack, ist er tot. Erbarmungslose Grossstadt. «Erika Mustermann» heisst die neue Berliner Folge.
Gleich noch einen Knall gibt es, wenn die Ermittler Robert Karow (Mark Waschke) und Susanne Bonard (Corinna Harfouch) einer Frau die Botschaft überbringen, dass ihr Mann tot sei, und dieser, die Ermittler sind noch da, putzmunter nach Hause kommt. «Tut uns leid für den Schreck», sagt Bonard betreten; irgendwie alles sehr berlinisch.
Die Kommissare stehen nun vor der Frage: Wer war der Mann, der von einem SUV-Fahrer wahrscheinlich absichtlich überfahren worden ist? Und weshalb trug er einen falschen Ausweis bei sich?
Die Spur führt Karow und Bonard ins Milieu von Venezolanern ohne Aufenthaltsstatus: Der Tote, sein Bruder und ein Freund teilten sich Ausweise und Schichten beim Kurierdienst und lieferten häufig Essen in die Bundesdruckerei, wo auch die Geliebte des Toten arbeitet: Die Figur der Annika Haupt bekommt durch lange Aufnahmen des Gesichts von Annett Sawallisch eine dunkle psychologische Note.
«Ich kann Deutsch»Der Regisseur Torsten C. Fischer hat einen visuell stimmungsvollen Film geschaffen, der die Räubergeschichte rasant durchzieht und gleichzeitig eine gute Balance hält mit einem etwas anderen, nie larmoyanten Blick auf Flüchtlinge. Das Ganze spricht die Probleme in wenigen Sätzen an, ohne die Kriminalgeschichte aus den Augen zu verlieren.
Dazu gehört auch ein kleiner ironischer Einschub, wenn Susanne Bonard einen Kurier mit Turban auf der Strasse auf Englisch anspricht («Can you help me?») und dieser zu ihr spöttisch sagt: «Ich kann Deutsch.»
Der Berliner hat sich noch nie drum gekümmert, was man sagen darf und was nicht. Vielleicht sollte der Bundeskanzler, bevor er einen von der SPD geforderten «Stadtbild-Gipfel» ausrichtet, einfach mal entspannt den «Tatort» gucken.

«Tatort» Berlin am Sonntag, 2. 11. um 20.05 Uhr auf SRF 1 und um 20.15 Uhr in der ARD.
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