„International“ ist das letzte Album des Elektrotrios St. Etienne

Das Album heißt „International“. Und dieser Titel passt ja im Grunde auf alle Alben des Londoner Elektrotrios St. Etienne seit dem bunten Klangcocktail des Debüts „Foxbase Alpha“ (1991). Der Opener „Glad“ jedenfalls hat schon mal die ganze Welt durch diesen Sommer gebracht. Ein eingängiger Tanztrack mit einer jazzigen Trompetenbrise.
„Don’t it make you sad / when you’re lonely?”, fragt Sarah Cracknell, und „Don’t it make you glad / to be alive?” Melancholie und Glücksflut in einem. So einfach, dass man sich hier eine Übersetzung sparen kann, und dermaßen in Hörers Tanzbeine fahrend, dass man sich am besten vorm Einlegen einen kleinen Dancefloor vor Anlage oder Boombox fliest.
Sarah Cracknell im St.-Etienne-Song "Sweet Melodies"
Was uns „glad“ macht: Das neue Werk folgt schnell auf das im vorigen Dezember erschienene, ambitioniert-introvertierte Ambient-Album „The Night“, das es nur in die Britcharts schaffte, und dort auf dem Ferner-liefen-Platz 191 hängen blieb.
Und „sad“, ja „very sad“ findet der Fan, dass „International“ das Farewell sein soll. „Ihr habt mir süße Melodien gegeben / die mich beflügelt haben”, seufzt Cracknell auf dem bittersüßen, sphärenhaften „Sweet Melodies“, was an Bob Stanley und Pete Wiggs gerichtet sein könnte, ihre Weggefährten seit 34 Jahren.
1990 begannen die Jugendfreunde Stanley und Wiggs mit einer Danceversion von Neil Youngs „Only Love Can Break Your Heart“, wehmütig gesungen von der Folk- und Indie-Musikerin Moira Lambert. Mit der Debütsingle erreichten St. Etienne die Spitze der US-Dancecharts.
1991 schon wurden die wechselnden Gesangsparts aufgegeben, als Cracknell für die dritte Single „Nothing Can Stop Us Now“ ans Mikrofon trat. Ihre Stimme färbte die Musik von St. Etienne (benannt nach dem französischen Fußballverein) anmutig und (zuweilen) düster. Klubgänger auf der ganzen Welt tanzten und wiegten sich zu St. Etiennes Amalgam aus Clubsounds und Pop.
Nach 35 Jahren zerstreitet sich eine Band nicht mehr, es herrscht Freundschaft, zugleich aber das Gefühl, alles getan zu haben. Und dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, sich zu verabschieden – in Begleitung vieler Freunde wie Vince Clarke (frühe Depeche-Mode, Erasure), den Australiern Confidence Man, Nick Heyward (einst in der Funk-Wave-Band Haircut 100), um nur einige zu nennen. Und „mit einem Knall“ – wie das Label Heavenly Recordings mitteilt.
Dieser „Knall“ ist ein Mix aus Dancetunes, mal technokühl und flirrend wie „Take Me to The Pilot“, mal happy-housig wie „Dancing Heart“, mal catchy und süß wie „Two Lovers“. Und in Liebesendzeit-Schwebern wie „Why Are You Calling“ oder „Fade“ erinnert Cracknell stimmlich an die späten Abba von „The Winner Takes It All“. Die vier Schweden hatten selbst in ihren fröhlichsten Songs ja immer diesen Hauch Melancholie.
Der Kehraus heißt passend „The Last Time“ und betont noch einmal die Affinität der Band zum Girlgroup-Pop der Sixties. „30 Jahre später / wirken wir charmant und kultiviert“, weiß Cracknell. „Aber wir sind nicht die eleganten Wegelagerer / die man erwarten würde, / beim allerletzten Mal.“ Großer Seufzer. Bye-bye, St. Etienne!
St. Etienne – „International“ (Heavenly Recordings)
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