Jeder 2. Krebsfall ist vermeidbar – die Mittel dazu haben wir selbst in der Hand

Immer weniger Menschen in Deutschland sterben an Krebs – und tatsächlich könnte die Zahl der Erkrankungen noch halbiert werden, argumentiert Krebsforscherin Hanna Heikenwälder. Die Instrumente dafür haben wir zum Teil selbst in der Hand.
Zudem seien Erfolge bei der Prävention zu nennen, etwa mit Blick auf den Rückgang der Zahl aktiver Raucher. Auch Früherkennungsmaßnahmen spielten – etwa bei Darm- und Brustkrebs - eine Rolle.
Die enorme Bedeutung von Prävention und Früherkennung bei der Vermeidung von Krebserkrankungen hatte unlängst auch Molekularbiologin Hanna Heikenwälder betont. "Etwa die Hälfte aller Krebsfälle wäre heute schon verhinderbar, wenn man nur das Wissen anwenden würde, was man heute schon hat", sagte sie im Podcast "Hotel Matze".
Dies betrifft insbesondere die Lebensweise, also Ernährung, Sportgewohnheiten, Stress und Schlaf – "all das, was man in der Hand hat". So können Krebs- und Präventionsforschern zufolge bestimmte Lebensstiländerungen das Krebsrisiko senken, zum Beispiel:
- Übergewicht vermeiden
- jeden Tag bewegen
- gesund essen
- nicht rauchen
- wenig Alkohol trinken
Krebs sei dabei anders als klassische Krankheiten und eher ein Prozess wie das Altern, weil die Krebsentstehung in jedem Menschen ablaufe, erklärte Heikenwälder. Mit jeder Zellteilung sammle der Körper Schäden an, sodass ab einem gewissen Alter bei jedem Menschen Krebsvorstufen zu finden seien – zum Beispiel in Form von Muttermalen, Polypen im Darm oder Knoten in der Brust.
"Die Frage ist gar nicht, ob man Krebs kriegt, sondern wann", sagte die Krebsforscherin. "Obwohl man das nicht verhindern kann, dass der Prozess in einem abläuft, weiß man, dass man die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess abläuft, sehr stark beeinflussen kann – durch die Lebensweise."
Wenn man die Mutation der Zellen als Samen der Krebserkrankung betrachte, dann seien die Lebensgewohnheiten der Nährboden, in den dieser Samen eingebettet werde. "Alles, was das Krebswachstum beschleunigt, ist dann wie Dünger", sagt Heikenwälder.
"Wenn ich gesund lebe, Sport mache, wenig hochverarbeitete Fleischwaren und nicht so viel rotes Fleisch essen, dann kann ich diesem Samen sein Substrat entziehen – der wächst dann deutlich langsamer."
Neben dem Lebensstil spielen nach Angaben der Krebsforscherin auch Vorsorge und Früherkennung eine wichtige Rolle.
Je nach Alter sind verschiedene Vorsorgeuntersuchungen ratsam:
Am Zervixkarzinom erkrankten 2022 (aktuellste Zahlen) in Deutschland mehr als 4300 Frauen.
Einmal jährlich untersucht der Gynäkologe das äußere und innere Genital und macht eine Abstrich-Untersuchung von Gebärmuttermund und Gebärmutterhals. Mit dem sogenannten Pap-Test zeigt sich, ob die Zellen des Gebärmutterhalses Entzündungen oder Gewebeveränderungen als frühe Anzeichen von Krebs aufweisen.
Ab Anfang 2020 ist für Frauen ab 35 Jahren die Abstrich-Untersuchung nur noch alle drei Jahre vorgesehen, dafür kombiniert mit einem HPV-Test. Dieser spürt Humane Papillomviren auf, die als Hauptauslöser für Gebärmutterhalskrebs gelten.
Diese Krebsart ist mit rund 75.000 Neuerkrankungen jedes Jahr die mit Abstand häufigste bei Frauen in Deutschland.
Ab 30 Jahren bezahlen die Krankenkassen einmal jährlich, dass Brüste und Achselhöhlen abgetastet werden. Wichtig ist außerdem, dass Frauen ihre Brust regelmäßig selbst untersuchen. So können sie Knötchen als Krebsvorstufen früh erkennen.
Ab 50 bis einschließlich 69 sieht das Krebs-Screening alle zwei Jahre eine Mammographie vor. Die Röntgenuntersuchung der Brust kann Krebs früh entdecken, so dass betroffene Frauen gute Heilungschancen haben. Doch die Mammografie ist umstritten. Denn gerade bei dichtem Brustgewebe „verstecken“ sich bösartige Tumoren auf dem Bild. Etwa 60 von 100 bleiben hier unentdeckt. Zudem besteht das Risiko von falsch-positiven Diagnosen.
Ein zuverlässigeres Ergebnis mit mehr als 95 Prozent Trefferquote für alle Gewebetypen könnte ein MRT (Magnetresonanztomografie) liefern. Dieses Mamma-MRT bezahlen die Kassen jedoch aktuell nicht für alle, sondern nur für Frauen mit sehr hohem Brustkrebsrisiko.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 25.000 Menschen an einem malignen Melanom (schwarzer Hautkrebs).
Ab 35 Jahren haben gesetzlich Versicherte alle zwei Jahre Anspruch auf den Hautkrebs-Check. Der Hautarzt fragt gezielt nach Hautveränderungen, nimmt den gesamten Körper einschließlich des behaarten Kopfes unter die Lupe und beurteilt Leberflecken.
Spezielle Mikroskope (wie Auflichtmikroskope) für eine noch genauere Analyse lassen sich Mediziner dabei oft extra bezahlen (etwa 15 bis 25 Euro).
Zeigen sich auffällige Hautveränderungen, entnimmt der Dermatologe eine Gewebeprobe und lässt sie im Labor abklären.
In Deutschland ist dies mit Abstand die häufigste Krebsart bei Männern: Im Jahr 2022 (aktuellste Zahlen) erkrankten knapp 75.000 Betroffene neu.
Ab 45 Jahren bezahlen die Krankenkassen einmal jährlich die Abtastung der Prostata vom Enddarm aus sowie die Untersuchung des äußeren Genitals und Abtastung der Lymphknoten in der Leiste.
PSA-Test: Diese nicht erstattete Zusatzleistung, die prostataspezifische Antigene (kurz PSA) im Blut misst, gilt nach wie vor als umstritten. Die Experten des Krebsinformationsdiensts urteilen: „Ob Männer mit regelmäßigen PSA-Tests länger und vor allem besser leben, steht nicht fest.“
Aktuell ist Darmkrebs in Deutschland bei Männern die dritthäufigste und bei Frauen die zweithäufigste Tumorerkrankung. Im Jahr 2022 erkrankten rund 30.000 Männer und 25.000 Frauen an einem kolorektalen Karzinom (Schätzung des Deutschen Epidemiologischen Krebsregisters und des Zentrums für Krebsregisterdaten im Robert-Koch-Institut).
Ab dem Alter von 50 Jahren sollte alle zwei Jahre der Test auf verborgenes (okkultes) Blut im Stuhl auf dem Vorsorge-Plan stehen. Frauen und Männer ab 50 Jahren haben zudem Anspruch auf zwei Darmspiegelungen (Koloskopien) im Abstand von zehn Jahren.
Letztlich können Heikenwälder zufolge auch Impfungen das Risiko für bestimmte Krebsarten, die durch Infektionen ausgelöst werden, reduzieren. Vor allem zwei Impfungen sind hier wichtig:
1. Impfung gegen Hepatitis B schon für Säuglinge. Eine Infektion mit Hepatitis-B-Viren erhöht das Risiko einer Leber-Entzündung. Dadurch kann wiederum Leberkrebs entstehen. Hepatitis B ist der größte Risiko-Faktor für Leberkrebs.
2. Mädchen und Jungen kann man gegen Humane Papillom-Viren (HPV) impfen lassen. Das geschieht am besten im Alter von neun bis 14 Jahren, also sicher vor dem ersten Sexualkontakt.
HP-Viren werden beim Sex übertragen. Betroffen ist die Haut im Genital- und Analbereich. Die Infektion wird oft kaum bemerkt, weil sie milde verläuft. Trotzdem können bestimmte HP-Viren nach vielen Jahren Krebs verursachen. Je nach Sex-Praktik können sie zu diesen Krebs-Arten führen:
- Gebärmutterhals-Krebs (Zervix-Karzinom)
- Scheidenkrebs
- Vulvakrebs
- Peniskrebs
- Analkrebs (Afterkrebs)
- Mund- und Rachenkrebs
Eine Krebserkrankung ist für viele Menschen zwar ein großer Albtraum – dennoch würden sie sich erst dann damit beschäftigen, wenn sie selbst oder jemand im Umfeld davon betroffen ist, sagt Heikenwälder. Der Spielraum sei dann allerdings nicht mehr groß.
"Wir müssten uns eigentlich dann mit Krebs beschäftigen, wenn er uns noch gar nicht interessiert – weil wir meinen, wir sind jung und das trifft uns sowieso noch nicht", sagt die Biologin. "Krebs betrifft uns alle – das ist nicht nur eine Floskel, sondern das stimmt sogar auch im wissenschaftlichen Sinn."
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